Plötzlich sind sie es: systemrelevant. Die Rede ist von den Beschäftigten im Gesundheits- und Transportwesen, in der Versorgung und im Handel. In der öffentlichen Debatte wird diesen Beschäftigten in der Zeit der Pandemie nun das zuerkannt, was ihnen jahrelang verwehrt wurde: Anerkennung. Was aus gewerkschaftlichen Kreisen seit Jahren eingefordert wird, kommt nun selbst konservativen Politiker*innen oder wirtschaftsfreundlichen Meinungsmacher*innen leicht über die Lippen. Von den Heldinnen und Helden des Alltags wird gesprochen, die die Gesellschaft während des Shutdowns am Laufen halten und die unter Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit gewährleisten, dass die Gesundheits- und Lebensmittelversorgung aufrechterhalten wird. Doch wie lange wird diese derzeitige Stimmung anhalten? Der Anerkennung haftet ein fahler Beigeschmack an. Sie ist unaufrichtig, wenn mit ihr nicht auch die Bereitschaft einhergeht, den gelobten Beschäftigten endlich auch gute Löhne, Tarifverträge und gute Arbeitsbedingungen zu geben.
Die Realität vieler Beschäftigter in der Corona-Zeit steht im Zeichen der politischen Versäumnisse der letzten Jahre. In einem von Einsparungen versehrten Gesundheits- und Pflegesystem arbeiten Ärzte und Pflegekräfte am Limit, nicht selten viele Tage am Stück. Und immer in der Sorge, dass die Schutzmaterialien nicht ausreichen. Zu den unzähligen Überstunden kommt die Angst, selbst zu erkranken. Seit Jahren warnen Gewerkschaften und auch DIE LINKE vor der fortlaufenden Zerschlagung des Sozialstaats und der Privatisierung des Gesundheitssektors. Profitinteressen haben in der Pflege- und Gesundheitsversorgung nichts zu suchen. Gleichzeitig wurden immer und immer wieder bessere Löhne, eine solide Personalbemessung und gute Arbeitsbedingungen für das Krankenhaus- und Pflegepersonal eingefordert. Spätestens jetzt muss sich die regierende Politik an diesen, unseren Forderungen messen lassen.
Aber auch für die fast 3 Millionen Beschäftigten im Handel sieht es nicht besser aus. Politik, Arbeitgeber und ihre Verbände wälzen die Krise mit voller Breitseite auf die Beschäftigten ab. Nehmen wir die Supermarktkassiererin. Als ob sie nicht eh schon viel zu lange Arbeitszeiten hätte, forderte der Chef des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth, dass sie Corona-bedingt bis zu 60 Stunden in der Woche sowie sonntags an der Kasse sitzen soll. Die Bundesregierung erhörte den Arbeitgeber-Lobbyisten: Arbeitsminister Hubertus Heil und Gesundheitsminister Jens Spahn erließen eine Verordnung, nach der die Arbeitnehmer*innen in systemrelevanten Bereichen nun bis zu zwölf Stunden täglich, auch am Sonntag, arbeiten dürfen. Die Arbeitgeberseite im Handel setzte nach und räsonierte öffentlich darüber, die anstehenden gewerkschaftlich errungenen Tariferhöhungen wegen der Covid-19-Pandemie zu verschieben. Den öffentlichen Bekundungen der Anerkennung, den Lobliedern auf die Beschäftigten stehen permanent Versuche entgegen, die Arbeitsstandards weiter abzuschleifen. Gewerkschaften und DIE LINKE müssen ein Garant dafür werden, dass die derzeit als systemrelevant ausgezeichneten Berufe zeitnah deutliche Aufwertung erfahren. Dabei darf es nicht nur darum gehen, die Angriffe auf die arbeitsrechtlichen Standards abzuwehren oder einmalige Gratifikationszahlungen durchzusetzen. Vielmehr müssen langfristige Lösungen in den Blick genommen werden. Und es muss die Forderung Priorität haben, die Tarifverträge im Handel, in der Gesundheits- und Pflegebranche sowie im Transportgewerbe für allgemeinverbindlich zu erklären.
Gerade vor diesem Hintergrund muss der 1.Mai 2020 für die linken und sozial fortschrittlichen Kräfte in diesem Land Anlass sein, in die Offensive zu gehen. Denn es wird Gegenwehr benötigen, damit die Kosten der Krise nicht den abhängig Beschäftigten aufgebürdet werden. Es wird Gegenwehr benötigen, demokratisch erkämpfte Grundrechte wiederherzustellen. Es wird Mut und Kraft brauchen, endlich jene zur Kasse zu führen, die seit Jahren einen unverdienten und unverschämten Reichtum angehäuft haben. Die Erwartungen an eine linke Gewerkschaftsbewegung in dieser Zeit müssen sich deshalb auch an der Frage messen lassen, wie wir zukünftig arbeiten und leben wollen? Aus den Erfahrungen der Krise muss eine breite gesellschaftliche Debatte über das neoliberale Wirtschaftsmodell Deutschlands in Gang gebracht werden. Und DIE LINKE muss die Frage, wie ein Systemwechsel weg von der kapitalistischen Konkurrenzlogik hin zu sozialer Gerechtigkeit eingeschlagen werden, beantworten. Ergebnisse dieser Debatten sollte ein Vorschlag für eine Wirtschaftsform sein, die allen nutzt, die sozial gerecht ist und die richtigen Prioritäten für die Mehrheit der Bevölkerung setzt.
All dieser Mut und diese Gegenwehr werden Rückendeckung und Unterstützung benötigen. Deshalb organisiert Euch: in der LINKEN und in den Gewerkschaften. Wer diesen Schritt schon gemacht hat, kann Freund*innen oder Bekannte, Arbeitskolleg*innen oder Nachbar*innen ansprechen. Die Krise kann und sie muss auch ein Aufbruch werden in eine gerechte, solidarische, umweltschonende und friedliche Gesellschaft.