Der Ampel-Koalitionsvertrag steht und ebenso steht fest, dass der Finanzminister Christian Lindner heißen wird. Erstmal eine wahrgewordene Horror-Vorstellung, denn Lindner gehört zu den aktivsten Verteidigern einer konservativen Wirtschaftspolitik. Zuletzt hatten keynesianische Ökonomen aus dem Ausland, wie der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, die Ernennung von Lindner zum Minister scharf kritisiert.
Von Felix Mönkemeyer
Fast neun Wochen haben sie miteinander gerungen – jetzt steht der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der FDP. Zäh sollen die Verhandlungen gewesen sein, hört man aus Kreisen des politischen Betriebs in Berlin. Auf knapp 180 Seiten haben die Koalitionäre ihre Zukunftsvision für Deutschland ausgemalt: Sie steht unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ und soll maßgebliche Neuerungen im Bereich der Digitalisierung, der ökologischen Zukunft und der Nachhaltigkeit bringen.
Doch wie schon vorab vermutet, schweigt sich der Vertrag zu vielen Problemen sozialer Natur schlicht aus. Wichtige Fragen im steuerpolitischen Bereich, der Finanz- und Wirtschaftspolitik sind unter den Tisch gefallen. Auf den folgenden Seiten sollen daher die Versäumnisse, aber auch die guten Ideen der zukünftigen Regierungskoalition betrachtet werden, um eine Bewertung aus linker Sicht vornehmen zu können.
Steuerpolitik
Betrachten wir den Koalitionsvertrag als erstes in dem Abschnitt der wahrscheinlich am leichtesten zu durchschauen ist: den steuerpolitischen Entscheidungen. Die Wörter „Vermögenssteuer“, “Einkommenssteuer“ und „Erbschaftssteuer“ finden sich in dem mehr als 180 Seiten umfassenden Vertragswerk nicht. Selbst die „Umsatzsteuer“ wird nur zweimal erwähnt und zwar im Kontext von punktuellen Erleichterungen. Es fällt also direkt auf, dass hier in Sachen Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit Stillstand geplant. Mit der Ampel wird es zu keiner veränderten Besteuerung von Vermögen und Erbschaften kommen. Hier konnte sich die FDP vollends durchsetzen und die wenigen konkreten Forderungen, die Grüne und SPD im Wahlkampf gefordert hatten, erfolgreich blockieren.
Deutlich überraschender ist, dass die Einkommenssteuer unverändert bleibt. Alle drei Parteien hatten im Wahlkampf über die Entlastung von mittleren und niedrigen Einkommen gesprochen (die FDP natürlich auch von größeren Einkommen). Am Ende wird es für niemanden eine Entlastung geben. Wer also mit der Wahl der FDP auf Entlastungen für die Mitte gehofft hat, wird nun bitter enttäuscht. Als LINKE fordern wir in unserem Programm eine aufwandsneutrale Reform der Einkommenssteuer. Das heißt: was die unteren und mittleren Einkommen bei uns am Ende netto mehr haben, holen wir uns bei den hohen Einkommen wieder. Da Lindner und die FDP auch hier Steuererhöhungen verhindert haben, aber gleichzeitig kein Finanzierungsmodell für Entlastungen zu bieten hatten, fielen die geplanten Entlastungen in diesem Bereich einfach weg.
Bei der Erbschaftssteuer bleiben vor allem die Privilegien für große Betriebsvermögen bestehen. Auch denen hatte der frisch gewählte Bundeskanzler Scholz im Wahlkampf noch den Kampf angesagt.
Was die Ampel in Sachen Steuern verändert, sind nur kleinere Entlastungen. So werden ein paar Freibeträge um wenige hundert Euro erhöht (zum Beispiel für Kapitaleinnahmen oder Auszubildende).
Positiv hervorzuheben ist, dass man die Schließung von Steuerschlupflöchern im Immobilien-Bereich, sogenannten „Share-Deals“ in Angriff nehmen will. Außerdem soll die Grunderwerbssteuer so geändert werden, dass es einfacher werden soll, eine selbstgenutzte Immobilie zu erwerben. Ebenso gibt es ein Bekenntnis dazu, dass sich „gemeinnützige Organisationen innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen“ dürfen. Auch tagespolitisch sollen sie sich jetzt äußern können. Nach der Debatte um den VVN/BdA und die globalisierungskritische NGO Attac ein Fortschritt, der hoffentlich Anwendung finden wird. Diesen beiden Organisationen war vor einiger Zeit die Gemeinnützigkeit gestrichen wurden.
Ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung ist die Stärkung von Behörden zur Überwachung der Finanzmärkte und zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung (zum Beispiel der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, BaFin). Auch der Kampf gegen europäische Formen des Steuerbetrugs (zum Beispiel bei Umsatzsteuerbetrug) wird explizit benannt und soll verstärkt bekämpft werden.
In Niedersachsen wird sich der bisherige deswegen Investitionsstau noch weiter verschärfen. Durch das Ausbleiben der Vermögenssteuer – die eine Ländersteuer gewesen wäre – werden dem niedersächsischen Haushalt Gelder fehlen die nötig gewesen wären um marode Schulen zu sanieren oder Luftfilter-Anlagen anzuschaffen. Die Corona-Krise hat viele Missstände in den Ländern offengelegt und der Koalitionsvertrag lässt hier eine ambitionierte Investitionsoffensive vermissen.
Finanz- und Investitionspolitik
Auf der finanzpolitischen Seite fällt das Bekenntnis zur Schuldenbremse auf. Ehrlicherweise muss man dazu sagen, dass die Abschaffung der Schuldenbremse eine Zweidrittel-Mehrheit bedurft hätte und wahrscheinlich auch von einer Mitte-Links Regierung nur schwer durchzusetzen gewesen wäre. Der FDP ist es hier gelungen viele bekannte Phrasen zur Schuldenbremse in den Vertrag zu schreiben.
Man muss der Ampel-Koalition aber zugutehalten, dass sie bereit ist die Spielräume der Schuldenbremse auszunutzen und nicht direkt mit einer Politik der schwarzen Null ins neue Jahr zu starten. So sollen die Corona-Schulden, die man für die diversen Hilfsprogramme aufgenommen hat, erst sehr langfristig und nicht schon in den kommenden Jahren getilgt werden müssen, was eine enorme Entlastung für den Haushalt bedeutet.
Enttäuschend ist hingegen das Bekenntnis zu Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (ÖPP), welche einen großen Absatz für sich vereinnahmen. ÖPP-Projekte sind oft teuer und wenig transparent. Das Investment-Risiko wird hier von der öffentlichen Hand getragen, während private Unternehmen gut verdienen können. Dem gegenüber werde Öffentlich-Öffentlichen-Partnerschaften (ÖÖP) nicht einmal erwähnt. Diese werden beispielsweise von der Mitte-Links Regierung in Berlin genutzt, um trotz der Schuldenbremse massiv in Schulen zu investieren. Das fehlende Bekenntnis zu ÖÖP-Vorhaben enttäuscht auch vor dem Hintergrund, dass in Hamburg, Olaf Scholz politischer Heimat, diese Methode schon öfters zur Anwendung gekommen ist.
Ein weiteres wichtiges Projekt, dem sich die Koalition widmen möchte: Die Lösung des Altschuldenproblems vieler Kommunen. Für viele überschuldete Gemeinden würde dies einem Befreiungsschlag gleichkommen. Leider fehlt es hier an konkreten Zahlen. Eine Entschuldung der Kommunen wäre aber ein wichtiger Schritt, um diese handlungsfähig für zukünftige Investitionen zu machen. Die Verantwortung für viele wichtige Lebensbereiche wie Kindergärten oder Straßen liegt maßgeblich bei den Kommunen.
Wirtschaftspolitik
Das Kapitel zur Wirtschaftspolitik folgt einem roten Faden, der sich mit Klimapolitik auseinandersetzt und wie die Koalition sich dem Kampf gegen den Klimawandel stellen will.
Sehr oft fällt dabei das Wort „Wasserstoff“. Die Koalition legt ein besonderes Augenmerk auf den Ausbau dieser Technologie. Vielversprechend sowohl für die geplante Verkehrswende, als auch die Industrie. Grüner Wasserstoff beispielsweise in Stahlwerken, könnte helfen, den notwendigen Wandel in der Schwerindustrie zu einer nachhaltigen Produktion umzusetzen – speziell in Niedersachsen eine interessante Option. Auch im Bereich Energiepolitik eröffnet Wasserstoff neue Felder, da Wasserstoff als Speichermedium für Solar und Windenergie genutzt werden kann. Hier bieten sich Chancen für neue und nachhaltige Arbeitsplätze. Die einzige konkrete Zahl im vorliegenden Koalitionsvertrag ist leider das Jahr 2030 als Ziel, um Deutschland zum “Leitmarkt“ für eben diese Technologie zu machen. Unter anderem wollen die Koalitionäre eine „Europäische Union für Wasserstoff“ gründen. Es wird aber auch feste Quote genannt, nach welcher der öffentliche Sektor grünen Wasserstoff beschaffen soll.
Deutschland soll auch durch die gezielte Förderung von Forschung und Ausbau der Batterie- und Halbleiterindustrie gestärkt werden, was ähnlich wie beim Wasserstoff nachhaltige Arbeitsplätze schaffen könnte.
Weiter bekennt sich der Koalitionsvertrag zur Transformation in der Automobilbranche, um die Klimaziele im Verkehrsbereich zu erreichen. Hier setzt die Ampel auf Elektro-Mobilität und will zum Beispiel mehr Ladesäulen errichten lassen und bis zum Jahr 2030 15 Millionen E-Autos auf die deutschen Straßen bringen. Positiv hervorzuheben ist, dass dieser Wandel gemeinsam mit der lokalen Politik und sozialen Partnern gestaltet werden soll. Es bleibt zu hoffen, dass die sozialen Partner gleichberechtigt angehört und eingebunden werden, damit der Wandel nicht auf dem Rücken der Beschäftigten abgewickelt wird, wie es aktuell bei Volkswagen zu befürchten ist. Auch in den Bereichen Luftfahrt und maritime Wirtschaft folgen ähnliche Versprechungen. Hier sollen ebenfalls Digitalisierung und klimafreundliche Technologien vorangebracht werden.
Was sich durch das ganze Kapitel zieht: es fehlen konkrete Investitionssummen und Projekte für die einzelnen Anliegen. Alles in allem halten sich die drei Parteien sehr vage.
Ähnlich schwammig geht es in Sachen Handwerk und Mittelstand weiter. Hier sollen Ausbildung und Innenstädte gezielt gefördert werden, aber auch hier fehlen konkrete Zahlen.
Ein Markenzeichen der FDP erkennt man in dem großen Kapitel zu Start-ups und zur Gründerszene, welches sich vor allem mit Bürokratieabbau und weiteren Fördermitteln beschäftigt. Kriterien wie „Gute Arbeit“ sucht man hier vergeblich.
Fazit
Die Ampel steht in Sachen Steuer- und Umverteilungspolitik für Stillstand. Die FDP und Finanzminister Lindner blockieren sozial richtige Steuersenkungen auf der einen Seiten und verhindern andererseits wichtige Projekte, wie die Einführung einer Vermögenssteuer. Hier wird sich in den kommenden Jahren nichts verändern und große Einkommen und Vermögen werden weiter geschont werden. Die soziale Ungleichheit wird sich im Ergebnis weiter verschärfen. Gerade bei der Erbschaftssteuer wären dringend Reformen notwendig gewesen, denn große Erbschaften werden aktuell kaum besteuert. Jedes Jahr werden Vermögen in Milliardenhöhe beinahe steuerfrei weitervererbt. Was einen der Hauptgründe dafür darstellt warum Deutschland inzwischen zu den Staaten mit einer der an der stärksten ausgeprägten sozialen Ungleichheit gehört.
Gleiches gilt für die Vermögenssteuer, wo Deutschland weiter wie kein Land auf der Welt Kapital vor Versteuerung schont. Die Lobbyarbeit der Unternehmensverbände lief hier auf Hochtouren und war offensichtlich sehr erfolgreich.
Die verpassten Entlastungen bei der Einkommenssteuer, hätten vielen Millionen Beschäftigten geholfen besser durch die Krise zu kommen. Denn sie hätten mehr Geld in der Tasche gehabt um beispielswiese die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise zu kompensieren. Die Ampel verzichtet hier aber nicht nur sozialpolitisch auf ein wichtiges Instrument, sondern hätte mit diesen Entlastungen auch der heimischen Wirtschaft unter die Arme greifen können. Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen hätten hingegen die Kaufkraft deutlich gesteigert, was zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen hätte.
In Sachen Finanzen können Wählerinnen und Wähler etwas aufatmen. Zwar bekennt sich die Ampel, wie zu erwarten war, zur Schuldenbremse, räumt sich selbst jedoch durch eine kluge Gestaltung der Corona-Schuldentilgung große finanzielle Spielräume ein. In einem bestimmten Umfang werden also Investitionen möglich sein und ein radikaler Sparkurs wird vermutlich ausbleiben. Extrem positiv ist anzumerken, dass man sich dem Altschulden-Problem der Kommunen widmen will.
Wirtschaftspolitisch werden viele wichtige Innovationen angesprochen und sollen gefördert und ausgebaut werden. Die Transformation der Wirtschaft in Anbetracht des Klimawandels soll aktiv gestaltet werden. Es gilt zu überwachen, ob die Gelder in soziale Projekte fließen, oder ob die Mittel lediglich den Profiten privater Investoren zugutekommen werden.
Klimapolitisch haben bereits zahlreiche Initiativen bereits angemerkt, dass die geplanten Maßnahmen wohl nicht ausreichen werden um das 1,5°C-Ziel zu erreichen.
Auch das Bekenntnis zu privaten Investitionen ist leider sehr enttäuschend. Am Ende werden es wie immer niedrige und mittlere Einkommen sein die dafür die Zeche zahlen müssen. Denn private Investitionen sind oft hochpreisig und weniger sozial als öffentlich finanzierte Angebote. Gerade wenn es um Bildung und Gesundheit geht, werden hier viele Haushalte den Kürzeren ziehen. Sie sind auf öffentliche Angebote in diesen Bereichen angewiesen und können sich nicht auf private Investoren verlassen.
Insgesamt muss man feststellen, dass die meisten aus linker Sicht positiven Punkte vage formuliert und nicht mit Zahlen oder konkreten Zeitplänen verbunden sind. Hier bleibt zu hoffen, dass die Ampel sich möglichst zügig an die Umsetzung ihres Koalitionsvertrages macht und die SPD sich gegen den kleinsten Koalitionspartner FDP durchsetzen kann.
Als LINKE müssen wir dabei immer auf die Einbindung der Kommunen und Gewerkschaften achten und darüber wachen, dass die Ampel ihre Versprechungen einhält, denn gerade mit einem Finanzminister Lindner wird die Frage der ‚Sozialen Gerechtigkeit‘ immer wieder im Kabinett zur Debatte stehen müssen.
Zum Autor
Felix Mönkemeyer (24) ist Landesvorsitzender der Linksjugend Niedersachsen und seit über 5 Jahren aktiver Kommunalpolitiker für DIE LINKE. Er studiert Wirtschaftswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover.