von Thomas Goes

Das Wichtigste zuerst:

1. Klimaschutz und die Sicherung von Beschäftigungs- und Lohnstandards sowie Existenzsicherheit der Beschäftigten müssen Hand in Hand gehen. Linke Industriepolitik ist entscheidend.

2. Finanziert wird der Green New Deal nach der Aufhebung der Schuldenbremse durch direkte staatliche Mehrinvestitionen. Kurzfristig sind massive Mehrausgaben indirekt mit Hilfe eines zu schaffenden „Niedersachsenfonds“ (DGB) möglich.

4. Um den Green New Deal im Land durchzusetzen, brauchen wir eine Allianz zwischen Gewerkschaften und Klimagerechtigkeitsbewegung, einen Generalstab für den sozialökologischen Aufbruch.

5. Wichtige Elemente der niedersächsischen ökologischen Industriepolitik sind: 

  • strategische Unternehmensbeteiligungen des Landes; 
  • gezielte Subventionen und staatliche Dienstleistungen, um grüne Industrien zu fördern; 
  • eine Investitionsoffensive in Forschung und Entwicklung, Gründung eines sozialökologischen Kompetenzzentrums, das Konzepte für den Green New Deal entwickelt; 
  • Konversionsräte, in denen Belegschaftsvertreter:innen, Gewerkschaften, Unternehmensmanagement und Vertreter:innen der Landesregierung über klimaschonende Alternativproduktion beraten.

6. Die Landesregierung investiert in gesellschaftlich nützliche Bereiche, um neue Jobs zu schaffen – Beispiel Gesundheit und Pflege. 

7. Nah- und Schienenverkehr werden ausgebaut und möglichst ticketlos („Nulltarif“) angeboten. Durch gestiegene Bus- und Bahnnachfrage werden neue Jobs entstehen.

8. Der Übergang von Beschäftigten aus alten Industrien in neue Jobs wird durch eine (Aus-) Bildungs- und Weiterbildungsoffensive gesichert. Transfergesellschaften zahlen für die Qualifizierung und schaffen soziale Sicherheit.

Niedersachsen 2027: DIE LINKE hat es geschafft durch gute Reformvorschläge, geduldige Bündnisarbeit mit Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräten, Aktiven aus der Umwelt- und Klimagerechtigkeitsbewegung sowie Wissenschaftler:innen eine Politik durchzusetzen, die soziale und ökologische Zukunftssicherheit im Land schafft. Wichtig war, dass wir unsere Vorschläge durch landes- und kommunalpolitische Kampagnen populär gemacht haben. Unsere Landtagsfraktion hat parlamentarisch Druck gemacht und um Mehrheiten geworben. 

Wir haben für die Existenzsicherheit der Beschäftigten in der Industrie gesorgt und den Lebensstandard der Mehrheit erhöht, indem wir praktisch etwas für die Bekämpfung der Klimakrise getan haben. Es wird nicht mehr darüber diskutiert, ob arbeitnehmerorientierte Industrie- und Wirtschaftspolitik mit Klimaschutz zusammengehen könnte, sondern wie wir das noch besser machen, mehr vom Richtigen hinkriegen. Soziale und ökologische Gerechtigkeit made in Niedersachsen – das ist möglich. 

I. Dringlichkeit: Niedersachsen 2050 wäre kein schönes Land

Soziale und ökologische Gerechtigkeit ist dringend nötig, weil die Uhr tickt. In 30 Jahren werden die Folgen der Klimakrise noch dramatischer sein, wenn wir nicht schleunigst daran arbeiten, die CO2-Belastungen zu senken. Die Journalisten Toralf Staud und Nick Reimer haben in ihrem Buch „Deutschland 2050“ (Staud/Reimer 2021) eindringlich geschildert, wie stark das unser Leben verändern und verschlechtern wird. Davon wird auch Niedersachsen betroffen sein mit seinen Küstenlandschaften, großen landwirtschaftlichen Nutzflächen, Wäldern und dem Harz. 

Das Waldsterben wird weitergehen, Waldbrände, wie wir sie heute nur aus Südeuropa kennen, auch bei uns normal werden. Sturzflüsse, wie sie insbesondere Westdeutschland und Belgien letztes Jahr getroffen haben, wird es auch im Harz geben. Und in unseren Städten, etwa in Braunschweig, Oldenburg, Wolfsburg und Hannover, wird es unerträglich heiss werden. 

Klar, wir leben alle auf demselben Planeten. Leiden würden aber unter dieser Katastrophe diejenigen am meisten, die heute schon am wenigsten besitzen und am härtesten arbeiten müssen, um über die Runde zu kommen (Brand 2020, 63). Und ob in Emden noch Autos gebaut werden können, weil es uns gelingt, gegen den drastisch gestiegenen Meeresspiegel und stürmische See wirksame Deichanlagen zu bauen, wissen wir nicht. 

Dabei ist die Ausgangssituation in Niedersachsen alles andere als gut, der DGB schreibt der aktuellen Landesregierung ein Armutszeugnis: „Die niedersächsische Infrastruktur ist marode und nicht zukunftsfest. Sie braucht dringend eine Frischzellenkur. Für heutige und kommende Generationen müssen Investitionen in Schulen, Krankenhäuser, bezahlbaren Wohnraum, in die Digitalisierung und den Klimaschutz fließen.“ (DGB 2020a)

II. Arbeitnehmerorientierte und ökologische Industriepolitik

Soziale und ökologische Gerechtigkeit made in Niedersachsen – dafür brauchen wir eine starke Reformallianz aus Parteien, Gewerkschaften und Umwelt- und Klimabewegung (Urban 2021). Ohne die werden wir kaum etwas durchsetzen. Aber wir brauchen natürlich auch eine ebenso machbare wie radikale Industrie- und Wirtschaftspolitik, die arbeitnehmerorientiert und ökologisch ist. Und sie muss ganzheitlich sein, Veränderungen in unterschiedlichen Branchen und Bereichen auf den Weg bringen. 

Klar ist: Der kapitalistische Markt ist blind für die Klimakrise. Nötig ist eine politische Strategie, um die niedersächsische Industrie zu erhalten, diese aber nachhaltig zu machen und so umzubauen, dass sie gesellschaftlich nützlicher wird (Burmeister u.a. 2018, 11). Wir brauchen ein wirtschaftliches Wachstum, das eine Mission hat: es soll sozial gerecht und ökologisch nachhaltig sein – ohne dass Regierungen das aktiv auf den Weg bringen, wird es nicht gehen (Mazzacuta 2021, 78-80). Ohne Demokratisierung, insbesondere ohne die demokratische Beteiligung der Belegschaften und Gewerkschaften, allerdings auch nicht (Dörre 2022, 9). Den Landesregierungen, so schreibt es Wolfgang Lemb, Vorstandsmitglied der IG Metall, den Parteien ins Stammbuch, kommt dabei eine besondere Verantwortung zu (Lemb 2017, 11-12). 

Die Vorschläge, die ich im Folgenden mache, sind radikal, aber sie sind heute und hier umsetzbar. Sie sind radikal, weil ihre Verwirklichung es erlauben würde, einen grundlegend sozialeren, ökologischeren und demokratischeren Weg in Niedersachsen einzuschlagen. Ihre Umsetzung würde einen Bruch mit der rein wettbewerbsorientierten Politik bedeuten, die vom CDU-geführten Wirtschaftsministerium verfolgt wird. Gleichwohl sind es lediglich erste Schritte auf einem richtigen Weg.

Ökologische Modernisierung der Industrie

Einen wichtigen Stellenwert in unserer Industrie- und Wirtschaftspolitik muss die ökologische Modernisierung der Industrie haben. Sie muss gefördert und sozial gerecht gestaltet werden, um die Existenzen und den Lebensstandard der Beschäftigten zu sichern, auch wenn sie einen neuen Arbeitsplatz in einem anderen Wirtschaftsbereich annehmen. 

Insgesamt ist die wirtschaftliche Entwicklung in Niedersachsen stark von der Industrie abhängig, nicht zuletzt von der Automobilindustrie (Brandt 2020, 1). Rund 629.000 Menschen arbeiteten 2020 im niedersächsischen Verarbeitenden Gewerbe (ohne Bauwirtschaft), rund ein Fünftel aller Beschäftigten im Land. Und: In der Industrie arbeiten die Menschen in aller Regel sozialversichert in Vollzeit, in den Dienstleistungsbranchen ist das oft nicht der Fall. Für die Sicherung von Beschäftigungs- und Lebensstandards in Niedersachsen ist die Industrie deshalb sehr wichtig. 

Die niedersächsische Auto- und Zulieferindustrie hat dabei einen besonderen Stellenwert, direkt und indirekt hängen knapp 340.000 Jobs vom Auto ab. „In Niedersachsen (…) ist der industrielle Sektor stark durch die Automobil- und Zulieferindustrie geprägt, die entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette von der Endnachfrageproduktion bis zur Stahlindustrie reicht. Dieser industrielle Komplex befindet sich aufgrund der Klimaziele (Dekarbonisierung) und des damit eingeleiteten Wandels zur Elektromobilität in einem tiefgreifenden Transformationsprozess.“ (Brandt 2020, 3). Die Landesregierung aus SPD und CDU ist sich dieser Herausforderung offenbar nicht bewusst. Schwerpunkte setzt das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung lediglich bei den Themen Bürokratieabbau und Digitalisierung, ansonsten bleibt es bei einer verkürzten und völlig unzureichenden Politik der Technologie-, Innovations- und Infrastrukturförderung. Die dringend nötige Einführung sozialökologischer Wendepunkte wird verschlafen.

Unsere linke sozial-ökologische Modernisierungspolitik sollte auf mehreren Säulen basieren. Sie soll Innovationsförderung im Bereich der Produkt- und Technologieentwicklung natürlich umfassen (Borgnäs/Bercht 2020, 21, 27f.), weil die richtige Höherentwicklung der Produktivkräfte nützlich ist, muss aber deutlich darüber hinausgehen. Auch auf Landesebene müssen wir versuchen, erste Schritte in Richtung einer demokratischen Investitionslenkung, der Steuerung von Produktionskapazitäten, der Förderung industriepolitischer Konversionsprojekte und der Ausweitung und Vertiefung der Mitbestimmung in Richtung Wirtschaftsdemokratie zu gehen (Fraktion DIE LINKE im Bundestag 2021, 6, 13f.). Angelehnt an die sog. Transformationsagentur, die es seit Ende 2021 in Niedersachsen gibt (Niedersachsenmetall 2021), müsste ein landeseigenes Industrie- und Klimagerechtigkeitsprogramm aufgelegt werden: „Klimagerechte Industrie 2030“. Wichtige Säulen eines solchen Programms müssten sein: 

  1. Ausweitung der Investitionen in Beteiligungen an Unternehmen, deren Erwerb im Jahr 2020 kaum mehr als 2 Millionen Euro des niedersächsischen Landeshaushaltes ausmachten (Land Niedersachsen 2020, 26). Mehr strategische Beteiligungen an Industrieunternehmen, die gleichzeitig mit der Stärkung von Betriebsräten und Gewerkschaften einhergehen müsste, würde die demokratische Mitsprache darüber erleichtern, was wie produziert wird. Das VW-Gesetz und Landesanteile des Landes Niedersachsen am Volkswagenkonzern zeigen, dass auf diese Weise Beschäftigten- und Gemeinwohlinteressen gestärkt werden können – trotz aller Probleme und Schwächen, die daraus entstehen, dass Privateigentümer die Mehrheiten halten. 
  2. Sektorale Branchenpolitik, d.h. gezielte Subventionen und Infrastrukturdienstleistungen der öffentlichen Hand (Green-Tech-Förderung), durch die schadstoffarme Produktion und klimafreundliche Produkte gefördert werden können. Subventionen und Dienstleistungen sind streng an soziale und ökologische Auflagen zu binden, Tarifverträge, betriebliche Mitbestimmung und attraktive Fortbildungsmaßnahmen für die Beschäftigten müssen ebenso obligatorisch sein wie der Verzicht auf prekäre Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit und Befristungen. 
  3. Investitionsoffensive in die wissenschaftliche Forschung und Begleitforschung, um die ökologische Transformation zu gestalten. Das bedeutet einerseits, dass mehr Geld in anwendungsbezogene Forschung zu Energieeffizienz, umweltschonende Technologien und Produkte ausgegeben werden muss, andererseits in sozialwissenschaftliche Begleitprogramme, um die konkrete Gestaltung in Betrieben, Branchen und Regionen so zu erforschen, dass es möglich wird, politisch den ggf. schädlichen Folgen entgegenzuwirken. Niedersachsen betreibt in Form der ‚Innovationszentrum Niedersachsen GmbH‘, einer 100% Tochtergesellschaft des Landes, eine Einrichtung, die stark darauf ausgerichtet ist, technologische Innovationen zu fördern und zu unterstützen. Das ist nicht unbedingt falsch, reicht aber überhaupt nicht aus. Davon ausgehend sollte ein sozial-ökologisches Kompetenzzentrum geschaffen werden, das (anwendungsbezogene) Forschung und Konzeptentwicklung für den niedersächsischen Green New Deal unterstützt und befördert.
  4. Das Land Niedersachsen sollte Transformations- und Konversionsräte anregen (Dörre 2022, 9; Krull 2022, 74f.), in denen betriebliche Interessenvertreter:innen und Gewerkschaften eine zentrale Rolle spielen sollten. Konversionsräte können darüber beraten, ob es Alternativen etwa zur Automobilherstellung gibt. Ist es beispielsweise möglich, aus der niedersächsischen Autoindustrie eine Mobilitätsdienstleistungsindustrie zu machen, die die notwendigen Güter und auch Dienstleistungen bereitstellt, um Bus-, Straßenbahn- und Bahnangebote in Niedersachen und im gesamten Bundesgebiet drastisch auszubauen?

Gesellschaftlich nützliche Arbeitsplätze schaffen

Wir müssen zweitens neue Arbeitsplätze schaffen, die hohen Nutzen für die Gesellschaft haben und ökologisch nachhaltig sind. Das ist schon deshalb notwendig, weil allein in der deutschen Autoindustrie von den ungefähr 820.000 Arbeitsplätzen (inklusive Zulieferindustrie) je nach wissenschaftlicher Schätzung zwischen 100.000 bis 450.000 durch den Umbau der Wirtschaft verloren gehen könnten (Boewe/Krull/Schulten 2022, 19). Das hat mit der Umstellung auf Elektro-Antrieb zu tun, der weite Teile der Zulieferindustrie in eine Existenzkrise stürzen wird (Riexinger 2022, 354), aber auch die sog Digitalisierung der Produktion spielt eine Rolle, durch die mit weniger Beschäftigten mehr hergestellt werden kann (Rationalisierung und Produktivitätssteigerung). 

Natürlich ist nur ein Teil dieser Arbeitsplätze in Niedersachsen angesiedelt, aber für unser Bundesland ist das eben ein bedeutender Teil. Bei unseren Bemühungen, neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen zu schaffen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass ein vergleichbares Lohnniveau wie in den betroffenen Industrien entsteht. Das ist eine Mammutaufgabe. Möglicherweise würde auch ein Arbeiter von VW in Braunschweig oder Wolfsburg in der Altenpflege arbeiten, aber nicht, wenn er netto mehrere hundert Euro verliert. Der Markt allein wird das natürlich nicht regeln, das Land Niedersachsen muss den öffentlichen Sektor ausbauen und stärken. Die Altenpflege und der Krankenhausbereich müssen komplett vom Markt genommen werden, zusätzliche Stellen geschaffen und in der Altenpflege die Löhne drastisch erhöht werden. Im gesamten Sozial- und Gesundheitswesen Niedersachsens sind heute rund 504.000 Menschen beschäftigt, darunter viele Teilzeitbeschäftigte, die gerne mehr arbeiten würden. Hier können Stellen geschaffen und prekäre Arbeitsverhältnisse beseitigt werden. 

Ausbau des Nah- und Schienenverkehrs

Wichtig ist drittens der Umbau des niedersächsischen Verkehrssystems und der Ausbau des Nahverkehrs, um die Schadstoffbelastung der Autogesellschaft zu senken und zugleich gut bezahlte neue Jobs zu schaffen. Der Nahverkehr wird zum Teil aus Ticketerlösen finanziert, überwiegend aber durch Bundesmittel, die über die Länder weitergegeben werden (Sander 2021,12f.). Auf dem Land muss das Busangebot ausgebaut werden, auf Landesebene die Rahmengesetzgebung geschaffen werden, damit Städte und Kommunen die Finanzierung von 365-Euro-Tickets und ticketlosem Nahverkehr möglich ist, überhaupt mehr Geld für den unterfinanzierten ÖPNV ausgegeben und Modellprojekte für ticketlosen Bus- und Straßenbahnverkehr auf den Weg gebracht werden. Im Haushaltsjahr 2020 hat das Land Niedersachsen für den Nahverkehr nur rund 32 Mio. Euro ausgegeben (Land Niedersachsen 2020, 43). Eine Erhöhung der Investitionen würde zu einer Win-Win-Situation, denn so werden nicht nur die Schäden durch den Autoverkehr verringert; mehr Menschen, die den Nahverkehr nutzen, heißen auch mehr Personal, das in diesem Bereich gebraucht wird – Fahrer:innen, aber auch Wartungspersonal. Außerdem wird es auch mehr Jobs in den Industrien geben, die z.B. Busse und Bahnen herstellen. Für den Schienenverkehr liegen etwa Schätzungen vor, die davon ausgehen, bundesweit würden schon 100.000 bis 155.000 zusätzliche Jobs in Bahn- und Schienenfahrzeugindustrie entstehen, wenn es nur gelingen würde, die Fahrgastzahlen zu verdoppeln (Candeias 2022, 390), bei einer Verdopplung der Busfahrgastzahlen würden bereits um die 43.000 zusätzliche Beschäftigte in der Busindustrie gebraucht, bei einem Anstieg der Fahrgastzahlen um das zweieinhalbfache wären es bereits um die 58.000 zusätzliche Jobs (ders., 392).

(Aus-)Bildungs- und Weiterbildungsoffensive

Und viertens müssen wir eine Bildungs- und Weiterbildungsoffensive starten, die Menschen dabei unterstützt, ohne Mehrkosten die nötigen Qualifikationen zu bekommen, die sie in einer veränderten Arbeitswelt brauchen. Es muss Geld für landesfinanzierte Weiterbildungsangebote in die Hand genommen werden. In den Schulen muss außerdem der Personalmangel behoben werden, die Schulen so reformiert werden, dass die Bildungschancen von Kindern aus Arbeiter:innen- und einfachen Angestelltenfamilien vergrößert werden. Unmittelbar ist außerdem die Reform und Ausbau der (Fach-)Hochschulen notwendig. Anstatt allein klassische Studienangebote anzubieten, sind höhere Ausbildungsmöglichkeiten für Quereinsteiger:innen ohne Abitur nötig. Das heißt auch: Die Personalpolitik an den Hochschulen muss drastisch verändert werden. Im Moment gibt es im wissenschaftlichen Mittelbau, der solche Aufgaben zu tragen hätte, kaum mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Um Weiterbildung und Umschulung in großem Maßstab sozial gerecht gestalten zu können, sind Transfergesellschaften nötig, die die Qualifizierung für nachhaltige Jobs sozial absichern.

Finanzierungsoffensive mit Hilfe eines Niedersachsenfonds

All das muss finanziert werden, wir brauchen insbesondere massive langfristige öffentliche Investitionen (Jobelius/Steinhilber 2018). Die Schuldenbremse, die von SPD und CDU in die Landesverfassung aufgenommen wurde, steht dem im Weg. Sie muss weg, politische Mehrheiten dafür wird es nur mit der LINKEN geben. Ohne öffentliche Kreditaufnahme wird es nicht möglich sein, eine ganzheitliche ökologische und sozial gerechte Industrie- und Wirtschaftspolitik für Niedersachsen auf den Weg zu bringen. Sollte die Schuldenbremse nicht fallen, ist es unmittelbar dennoch möglich, auch umfangreiche Investitionen durch einen eigens dafür geschaffenen Landesfonds zu finanzieren, der nicht von der Schuldenbremse ausgebremst würde. Der DGB Niedersachsen hat mit dem sog. Niedersachsenfonds ein umfangreiches Konzept vorgelegt. Das ist zu begrüßen. Mit rund 1,68 Milliarden Euro machen dringend nötige Investitionen momentan nur knapp 4 Prozent der Gesamtausgaben des Landes Niedersachsens aus. Durch den Niedersachsensfonds (DGB 2020b, 23) ließen sich die für Investitionen zur Verfügung stehenden Mittel so stark erhöhen, dass der seit Jahren anhaltende Investitionsstau überwunden werden kann.

III. Einen Generalstab für einen sozialen und ökologischen Aufbruch schaffen

Um soziale und ökologische Gerechtigkeit in Niedersachsen zu schaffen, um eine entsprechende ganzheitliche Wirtschafts- und Industriepolitik durchzusetzen, müssen wir eine breite Reformallianz aufbauen, einen Generalstab für einen niedersächsischen Green New Deal. „Ein Generalstab ist ein physischer Ort, an dem Leute mit der notwendigen Erfahrung und inneren Festigkeit gemeinsam brainstormen, planen und diskutieren, welche nächsten Schritte nötig sind, um zu gewinnen. Die Planung beginnt beim Zustand der Welt, wie sie jetzt ist – also bei der Herausforderung, einen völlig wüsten Haufen von Leuten und Organisationen zusammenzubringen, die nur allzu oft durch Methoden des Teile und Herrsche‘ gegeneinander ausgespielt werden und sich nur allzu selten auf das Gemeinsame konzentrieren, das weit über das nackte Überleben hinausgeht.“ (McAlevey 2020)

Das A und O sind dabei die Belegschaften und betrieblichen Interessenvertretungen in den wichtigsten Industrien, ihre Anliegen und Vorschläge müssen wir aufgreifen, mit ihnen müssen wir zusammenarbeiten, um Druck zu erzeugen. Aber das alleine wird nicht reichen, wir müssen als Partei den Dialog zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung fördern. 

Dafür haben wir die besten Voraussetzungen, da unsere Mitglieder in beiden Bereichen aktiv sind. Warum nicht zu einem Klimagerechtigkeitsratschlag einladen, um mit Gewerkschafter:innen aus der Automobil- und Zulieferindustrie, aus dem Gesundheitssektor und dem Nahverkehr über unsere Ideen zu diskutieren? Warum dort nicht gemeinsam beraten, wie Klimagerechtigkeitsaktivist:innen und Gewerkschafter:innen zusammenarbeiten können, etwa in der anstehenden ÖPNV-Tarifrunde 2023? Warum nicht überlegen, welchen Beitrag unsere Kommunalfraktionen, unsere Aktivengruppen und – hoffentlich – unsere Landtagsfraktion konkret leisten können, um Ideen und Forderungen zu unterstützen und zu stärken, die von dieser rot-grünen Allianz gestellt werden? 

Oder: Warum nicht als Landesvorstand anregen, koordinieren und unterstützen, dass einige unserer Kreisverbände eigene Kampagnen durchführen, um Verbindungen zwischen Gewerkschafts- und Klimagerechtigkeitsbewegung herzustellen? Ein Beispiel sind Kampagnen für 365-Euro-Tickets im ÖPNV oder für ticketlosen Nahverkehr („Nulltarif“), in denen der Kampf für soziale Gerechtigkeit (mehr und günstige Mobilität für die einfachen Leute) mit dem für Klimaschutz verbunden werden kann (Senkung der Schadstoffbelastungen durch das Auto)?

Literatur:

Boewe, Jörn/Krull, Stephan/Schulten, Johannes (2022): ‚E-Mobilität, ist das die Lösung?!‘ Eine Befragung von Beschäftigten. In: Candeias, Mario/Krull, Stepan (Hg): Spurwechsel. Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion. S. 19-61. Hamburg.

Brand, Ulrich (2020): ‚Trade Unions for Future’: Gewerkschaften an der Schnittstelle zwischen Arbeit und sozial-ökologischer Transformation. In: Vassiliadis, Michael/Kajsa, Borgnäs (Hg.): Nachhaltige Industriepolitik. S.61-75. Frankfurt/M.

Brandt, Arno (2020): Sozial-ökologische Transformation. Wirtschaftspolitisch Impulse für Niedersachsen/Bremen. Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin.

Burmeister, Kai u.a. (2018): Nachhaltige Industriepolitik und Transformation. In: SPW Nr. 5. S. 10-13.

Candeias, Mario (2022): …das braucht unglaublich viel Arbeitskraft! Beschäftigungspotenzial alternativer Produktion als Basis der Mobilitätswende. In: Candeias, Mario/Krull, Stephan (Hg.): Spurwechsel. S. 385-403. Hamburg.

DGB (2020a): NFonds. Investitionen trotz leidiger Schuldenbremse. https://niedersachsen.dgb.de/themen/++co++426a9c2a-24bc-11eb-9c29-001a4a16011a

Dies. (2020b): Niedersachsen für alle! Drei-Säulen-Konzept des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften für eine Konjunktur- und Investitionsoffensive in Niedersachsen. Hannover.

Dörre, Klaus (2022): Alle reden vom Klima. Perspektiven sozial-ökologischer Transformation. Aus Politik und Zeitgeschichte, Hft. 3/4. S. 4-10.

Fraktion DIE LINKE im Bundestag (2021): Sozial, ökologisch und demokratisch. LINKE Industriepolitik in Zeiten der Krise. Berlin.

Jobelius, Matthias/Steinhilber, Jochen (2018): Jenseits von Krisenrhetorik. Für die Sozialdemokratie gibt es ein Gewinnerthema: die sozial-ökologische Transformation. In: https://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/oekologische-industriepolitik/artikel/jenseits-von-krisenrhetorik-3070/

Krull, Stephan (2022): Produktion des Gemeinsamen. In: Candeias, Mario/Krull, Stephan (Hg): Spurwechsel. S. 61-81. Hamburg.

Land Niedersachsen (2020): Haushaltsrechnung des Landes Niedersachsen 2020. Hannover. 

Lemb, Woflgang (2017): Die Bundesländer – Promotoren einer ‚Guten Industriepolitik‘. In: Ders. (Hg.): Industriepolitik in den Bundesländern. S. 9-23. Frankfurt/M.

McAlevey, Jane (2020): Ein Generalstab für den Green New Deal. In: https://jacobin.de/artikel/generalstab-fuer-den-green-new-deal/

Niedersachsenmetall (2021): Sozialpartner gründen Transformationsagentur. https://niedersachsenmetall.de/aktuelles/sozialpartner-gruenden-transformationsagentur.

Riexinger, Bernd (2022): Ein linker Green New Deal. Für eine Mobilitätswende und eine soziale, ökologische und demokratische Transformation der Autoindustrie: In: Candeias, Mario/Krull, Stephan (Hg): Spurwechsel. S. 353-367. Hamburg.

Sander, Hendrik (2021): Wer bezahlt die mobilitätsgerechte Stadt? Instrumente für eine alternative Finanzierung des ÖPNV. Berlin.

Staud, Toralf/Reimer, Nick (2021): Deutschland 2050. Wie Klimawandel unser Leben verändern wird. Köln.

Urban, Hans-Jürgen (2021): Für eine öko-soziale Reformallianz. In: Über:morgen, Nr.2. S. 6-9.

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