Die Zeit der „Besinnlichkeit“ kann ja auch zur Reflexion genutzt werden, um Kraft und neue Gedanken für das neue Jahr zu sammeln. Das Jahr endet, wie es angefangen ist – mit einem Lockdown. Die extrem gestiegenen Ansteckungszahlen, sowie die rasante Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen führt uns dabei nochmal eindringlich vor Augen womit wir es zu tun haben. Die Menschheit kennt zwar Pandemien, sie kennt Wirtschaftskrisen, sie kennt auch die Einschränkung von Grundrechten. In einer solch geballten Form war und ist die Krise jedoch neu für uns.
Am Anfang die Angst vor der bis dahin unbekannte Pandemie, mit bisher ungeahnten Einschränkungen des ersten Lockdowns im öffentlichen Leben. Neben notwenigen Verordnungen über Einschränkungen und Gesundheitsauflagen, erlebten wir auch ein Überbietungswettbewerb an Verboten, nicht nur aus gesundheitspolitischen Erwägungen, sondern weil es politisch opportun erscheint angesichts der unsichtbaren Bedrohung Stärke zu zeigen (wie derzeit Markus Söder). Das solche Verbote oft Bereiche betreffen, die kaum Lobbyvertreter im Bundestag haben, wie etwa die Kultur, sei hier nur nebenbei erwähnt. Die Furcht vor den Wählern hier für eine zu „schwache“ Haltung abgestraft zu werden, ist hier jedenfalls dominant. In den Politikwissenschaften wird dies als Governance by Fear (regieren durch Angst) bezeichnet. Damit ist nicht die „irrationale Angst“ von Coronaleugnern und Verschwörungsideologen gemeint (die damit auch fette Geschäfte machen). Sondern die „rationale Angst“ die Wissenschaftler produzieren und Politiker zu Legitimation ihrer Politik nutzen. Die Wissenschaft analysiert verschiedene Szenarien, vom „best“ zum „worst-case“. Die Politik orientiert sich vor allem am schlimmsten Szenario, weil es dies schließlich abzuwenden gilt. Zum einem der Sache wegen, zum anderen um nicht abgewählt zu werden. Daraus folgt, dass Freiheiten lieber einmal zu viel eingeschränkt werden als zu wenig. Das dieses zum Teil opportunistische Handeln nicht gerade von einer Wertschätzung der Grundrechte getragen wird, wird an so manchen Verordnungen deutlich, die bereits von Gerichten gekippt wurden (z.B. Demonstrationsverbot, Reiseverbot, Beherbergungsverbot etc.).
Mittlerweile ist ein Sättigungsgrad in der Bevölkerung erreicht. Über ein halbes Jahr lang sind wir mit apokalyptischen Szenarien, ständig wechselnden Berechnungen und Regelegungen beschossen wurden. Das macht auf die Dauer müde. Das senkt auch die Bereitschaft sich an Regeln zu halten, wie wir aktuell an den Feiertagen beobachten können. Apokalyptik ist niemals auf Dauer durchhaltbar, erst recht, wenn apokalyptische Szenarien nicht eintreffen. Regieren durch Angst ist auf die Dauer nicht überzeugend. Statt Verordnungen aus den Ministerien hätte es längst von der Politik angestoßene breite gesellschaftliche Debatten geben müssen, womit ich nicht nur die Einbeziehung der Parlamente meine – und zwar vor den Verordnungen!
Regieren durch Angst ist auf die Dauer auch nicht erträglich. Die Angst vor dem sozialen Abstieg (Jobverlust, Ladenschließung, Wohnungsverlust etc.) oder vor der Vereinsamung (Altenheime, Krankenhäuser etc.), machen die Angst vor dem Lockdown teilweise größer als vor der Pandemie. Und wer will schon an einem Virus erkranken mit evtl. Spätfolgen oder aber selbst zur potenziell tödlichen Ansteckung eines Liebsten beitragen. Diese Dauerbelastung hat es in sich, wie es sich auch im starken Anstieg psychischer Erkrankungen wie z.B. Depressionen widerspiegelt. Ganz zu schweigen von der Stigmatisierung von Kranken, die kaum Thema ist, obwohl uns der Umgang mit AIDS anderes hätte lehren müssen. Jeder der bereits erkrankt oder ein Verdachtsfall war, wird die Isolation gespürt haben, wenn Freunde und Bekannte plötzlich Angst vor einem bekommen.
Es sind mitunter diese Ängste, zusammen mit einer Krisenpolitik, die vor allem Reiche begünstigt, statt ausreichend Armut vorzubeugen, die Räume für Verschwörungsbewegungen aufmacht. Gerade in Krisenzeiten haben diese Konjunktur. Das vereinfachte Freund/Feind – Schema dieser Bewegungen, sowie ihre Wissenschaftsfeindlichkeit macht diese anknüpfungsfähig für extrem Rechte, die dankend den Unmut instrumentalisieren und sich als Retter der Bürgerrechte aufspielen – ausgerechnet die! Die Angst, die dort geschürt wird, erzeugt ein Klima zunehmender Gewalt gegenüber Politiker*innen, Journalist*innen und auch Antifaschist*innen. Sich solchen menschenfeindlichen Ansammlungen in den Weg zustellen, ist genau so unsere Aufgabe wie die Grundrechte zu verteidigen und auszubauen. Vor allem müssen wir als LINKE an die Ursachen ran, die die massiven Ängste und deren Instrumentalisierung erst möglich machen.
Das wohl größte Problem, mit dem wir umgehen müssen, ist die suggerierte Ohnmacht. Als wäre das Virus eine Naturkatastrophe, welches über uns hineinbricht und gegen die wir uns nur wehren können, durch individuelles Anpassen an immer neue Einschränkungen. Menschen, die sich wehrlos fühlen, können sehr bescheiden werden, auch gegenüber ihren sozialen Rechten. Letztlich trifft das auch auf unsere Grundrechte zu, denn da wo unser Leben mit einer unsichtbaren Bedrohung konfrontiert ist, erscheinen Grundrechtseinschränkungen notwendig. Das ist auch nicht ganz falsch, bedarf aber auch hier statt Panik einer rationalen Abwägung. Ohnmacht ist in einer entwickelten Gesellschaft wie der unseren meist reine Ideologie. Menschen müssen Probleme nicht aushalten, man kann sie verstehen, Lösungen entwickeln und gemeinsam handeln.
Dieses Virus ist mittlerweile gut erforscht und verstehbar. Wir wissen, dass das Virus keine Naturkatastrophe ist, sondern vom Menschen freigesetzt ist. Nicht im Labor im Wuhang, sondern Ergebnis des von wenigen Großkonzernen vorangetriebenen Raubbaus an der Natur. Auch wissen wir, dass das Virus wie ein Brennglas bereits vorhandene Probleme in unserer Gesellschaft aufzeigt und verstärkt. Zum Beispiel die Ungleichheit im Bildungssystem, die massive Spaltung in immer mehr Ärmere und absurd reichen Krisengewinnern wie Amazon oder die Ausbeutung von Pfleger*innen, Kassierer*innen oder aller weiteren gesellschaftlich relevanten Berufe. Allein in den Krankenhäusern wurden im Corona-Jahr 2000 Betten eingespart, während die Gewinne der großen Privatinvestoren munter stiegen. Statt vor der Unsichtbaren Bedrohung also unsere Ansprüche zurückzufahren, sollten wir im Gegenteil unsere Ansprüche weiten und ernsthafte Konsequenzen aus dieser Pandemie ziehen. Forderungen wie die Reichen für die Krise zahlen zu lassen und das Geld in öffentliche Belange zu investieren sind richtig. Apelle reichen aber nicht, diese Forderungen müssen mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Ambition durchgesetzt werden und zwar von uns (#2021solidarisch).
Statt zuzulassen, dass die Pandemie mit uns umgeht, müssen wir mit der Pandemie umgehen. Erforderliche und mögliche Sofortmaßnahmen sind: Schnelltests für Schulen, Hochschulen und Pflegeeinrichtungen, Investition in Lüftungsanlagen und Luftfilter für alle öffentlichen Einrichtungen, Subvention von entsprechenden Umbauten in privaten Kultur- und Gastronomieeinrichtungen, Rekommunalisierung der Krankenhäuser, bessere Bezahlung des Personals, mehr Personal, mehr Kapazitäten, Intensivausbildung von Intensivpflegekräften, internationale wissenschaftliche Kooperation, Aufklärung für Alltagshygiene, Ausbau des Breitensports für die Stärkung des Immunsystems etc. Das alles hätte in den letzten Sommer-Monaten längst stattfinden können und muss umgehend nachgeholt werden. Denn auch wenn der Impfstoff jetzt da ist, die Pandemie wird uns sicherlich noch bis Ende 2021 beschäftigen. Auch wird es nicht die letzte Pandemie sein.
Schon vor der Corona-Pandemie bzw. dem politischen Shutdown war die Weltgemeinschaft auf dem Weg in eine schwerwiegende wirtschaftliche, soziale und ökologische Krise, zugleich wuchsen aller Orten die sozialkritischen und demokratischen Bewegungen für einen tiefgreifenden Kurswechsel. Das sollten wir nicht vergessen, denn es nützt so manchem Geschäftetreiber, wenn eine Regierung mit dieser Pandemie von dieser Gegenwehr ablenkt. Das zeigt sich mitunter an der medialen Nicht-Präsenz der anhaltenden Klimazerstörung oder dem Mord an Geflüchteten im Mittelmeer.
Ein Richtungswechsel ist nötig und nötiger als zuvor. Er ist auch möglich, wenn mehr Menschen die Politik in ihren Alltag holen und gemeinsam zusammenkommen, um zu kämpfen. Die Kämpfe in der Pflege, die trotz oder gerade wegen der Pandemie stattfanden, sind ein guter Schritt in die richtige Richtung. Anlässe zu sozialen Kämpfen gibt es durch die derzeitige Corona-Politik mehr als genug. Immerhin betreffen die Einschränkungen zumeist Sport, Kultur und die sozialen Kontakte, gleichzeitig sollen wir aber in viel zu vollen Bussen zur schlecht bezahlten Arbeit fahren oder mit einem viel zu geringen Kurzarbeitergeld sehen, wie wir klarkommen. Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die sich an der Krise eine goldene Nase verdienen. DIE LINKE hat große Bedeutung dafür, dass Menschen den Kopf heben und sich etwas ändert. Dafür müssen wir mutig vorangehen. Dem gesellschaftlichen Lockdown, müssen wir einen politischen Aufbruch entgegensetzen. Nicht weniger.
Thorben Peters
Stellv. Landesvorsitzender
DIE LINKE Niedersachsen