Anja Stoeck, Giesela Brandes-Steggewentz, Jutta Krellmann, Pia Zimmermann, Diether Dehm, Hans Georg Hartwig
Herbert Schui – der proletarische Professor / Ein Nachruf, der nach vorne ruft
Professorales Outfit? Fehlanzeige! Professor Doktor Herbert Schui gehörte stets zu jenen wenigen (und immer weniger werdenden) Hochschullehrern, die sich die akademischen Finger schmutzig gemacht haben. Indem sie eingriffen. Schon früh. Die Welt nicht nur verschieden interpretierten. Er tat dies nicht erst während der Parteibildung von WASG und PDS zur LINKEN, worauf er dort, eng mit Sahra Wagenknecht, radikale Kritik am Monopolkapital und an dessen deutschen Politiken zuspitzte. Und pointierte. Gemütlich? Zuweilen. Aber ungemütlich den Herrschenden!
Bereits in den siebziger Jahren zählte er mit den sozialdemokratischen Professoren Zinn, Tjaden und Hickel zu den Kenntnis- und Mut-Machern, zu den „theoretischen Paten“ jenes „Sozialdemokratischen Hochschulbunds“, der Falken und dann des mehrheitsfähigen Juso-Flügels, der mit den „Herforder Thesen“ (die eigentlich in Diether Dehms Bauernhof entstanden, damals noch mit Olaf Scholz, Stefan Schostock, Detlev Albers, Suso Möbbeck, Traute Müller und Kurt Wand , Uli Wolf, Arno Brand, Matthias Machnig, Kurt Neumann, Andreas Wehr, Klaus Uwe Benneter u.v.a. ) das erste massive Erkennungszeichen einer marxistischen SPD- Linken nach dem „Godesberger Programm“ und nach dem Parteiausschluss von SDS und Wolfgang Abendroth lieferten.
Marx selbst hatte mit den „Grundrissen“ auf die neue Formationsspezifik der monopolkapitalistischen Akkumulation hingedeutet. Hilferding, Lenin, Boccara u.a. hatten hier weitergeschrieben. Die Ostberliner Heininger und Binus nannten dann das „Monopol“ zu allererst ein „Enteignungsverhältnis“ – und zwar nicht nur gegen die Arbeiterklasse, sondern auch gegen andere, nichtmonopolistische Unternehmerschichten. Also entstanden neue Bündnisoptionen! Nicht nur bezüglich der Bauern – die Lenin dafür „entdeckt“ hatte. In der Theorie des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ (wie das neue Stadium in Lenins „Imperialismus“-Schrift genannt wurde), geht es aber auch um die Umhegung der Monopole durch jene staatlichen Strukturen, die – im scharfen Widerspruch zum Sozialstaat und dessen Mitarbeitern(!) – Kriegs- und Rüstungsaufträge zu vergeben haben. Und um die Teile des Staatsapparats, die für politische Repression zuständig sind: gegen die realexistierende Arbeiterbewegung, die Gewerkschaften und linken Parteien. Und um die Staatsteile, die mittels Geldpolitik die konzernnahen Großbanken stützen und die deren weltweiter Ausbeutung auch währungs- und zinspolitisch assistieren. Letzteres wurde fortan Herbert Schuis selbstgewählter Forschungsauftrag. Und auch, wo er der „Starreferent“ war – ob ihn Hartmut Tölle für den DGB einlud, Pia Zimmermann für die Falken oder später Victor Perli für die RLS – Allüren blieben ihm fremd wie Mondgestein.
Es ging ihm (nicht nur in der SPD) um praktisches Eingreifen der Theorie; etwa mit der „Memorandum-Gruppe“ (zu der neben den o.g. Sozialdemokraten auch der undogmatische Kommunist Jörg Hufschmid zählte). Und mit deren aufsehenerregend alternativen Wirtschaftsgutachten ging es um Einflussschneisen von links. Sicher, da operierten Staatsstrukturen zwar tendenziell monopolkapitalistisch. Aber war dies ein Grund, die Hände kontemplativ in den Schoss zu legen? Für Schui lieferten Staatsstrukturen in gleichzeitiger Dialektik ja auch Ansatzpunkte für sozialistische Alternativen. Ja, sogar für erfolgreiche Reformeingriffe: ohne Schui und die Seinen wäre es Ende der Siebziger wohl kaum zu Zukunftsinvestitionsprogrammen (ZIP) gekommen, deren Grösstem wir die Renaturierung des Rheins und Tausende von Arbeitsplätzen verdanken. Der radikale marxistische Theoretiker war in innerkapitalistischer Praxis linker Keynesianer. Notwendigerweise. Reform als Ausdruck des Revolutionären! Denn: betritt je eine Abstraktion die Bühne der Geschichte, lupenrein und unbefleckt? Die Arbeiterklasse etwa, rein und autonom, wie es uns Sektierer weiss machen wollen? Nein, Herbert hatte seinen Hegel studiert.
Zum Beispiel: das Proletariat? Es ist in seiner reinsten Verallgemeinerung zwar nur international zu erfassen und zu zählen, tritt aber, laut „Kommunistischem Manifest“, zunächst nur national verfasst in Erscheinung. Und es ist, real existierend, nicht weit abseits von Gewerkschaften zu finden. Oder, bei Nichtgefallen, mal eben neu zu erfinden. Eine antikapitalistische Reformagenda hat sich also daran und an dessen Bewusstseinsständen zu orientieren, will sie nicht in akademischen Kanälen versickern, sondern den lebendigen Funken zu einer Bewegung schlagen. Mit den Massen. Und nicht: statt derer. Und dafür standen Herbert und seine wissenschaftlichen Mitstreiter.
Denn auch die Erkenntnis von Marx, „alle bisherige Geschichte“ sei „eine Geschichte von Klassenkämpfen“ gewesen, ist ja nicht konkret soo in der realen Manege zu finden. Beide Hauptklassen der Akkumulationsgeschichte treten nie blütenrein auf; sondern immer nur in Bündniskonstellationen. (Und wo ihnen diese abhanden kamen, war dies meist kurz vor ihrem Untergang!). Und im Sinne eines antimonopolistischen Volksbündnisses um die Arbeiterklasse referierte Herbert Schui also eben auch vor linken Unternehmerinnen, vor Handwerkern und Milchbauern. Und wie hielt er es mit der Revolution?
Zumindest war im marxistisch-sozialdemokratischen Manifest der Siebziger, zu dessen „Paten“ auch Herbert zählte, also in den „Herforder Thesen“, ein Revolutionsbegriff angelegt, die mit der Sturmverklärung aufs Winterpalais 1917 brach, wo um 24 Uhr die kapitalistischen Lichter ausgehen, damit dann, eine juristische Sekunde später, um 0:00 Uhr, die kommunistische Sonne leuchtet. Ohne dem Reformismus auf den kleingläubigen Leim zu gehen, schrieben die jungen sozialdemokratischen Marxisten in den Siebzigern von revolutionären Übergängen, einer antimonopolistischen Demokratie, in der zunächst die Hauptgiftzähne des imperialistischen Geschäftsbetriebs, zum Beispiel seine Rüstungskonzerne und Großbanken, demokratisch vergesellschaftet werden müssten. Und darum warb Herbert Schui ein ums andere Mal für unsere Verfassung – in Nachfolge jener Sozialdemokratinnen, die 1949 dem Grundgesetz ohne den „Vergesellschaftungs-Artikel 15“ nie und nimmer zugestimmt hätten. Als „Demokratisierung der Wirtschaft“ popularisierte er das. Wie Oskar Lafontaine. Oder Peter von Oertzen, der dann auch als prominenter Sozialdemokrat in die Linkspartei wechselte.
Es ist noch viel aus jenem Fundus zu schöpfen, der an der Nahtstelle undogmatischer Kommunistinnen und Sozialdemokraten angelegt wurde. Vor ’89, vor dem großen Schlaganfall des Vergessens. Mit dem „Krefelder Appell“ sind da auch Schuis Schriften zu nennen. In vielen Universitäten und ASTen, wo heute Antideutsche ihre proimperialistischen Rufmordgeißeln schwingen, gab es damals gewerkschaftsorienierte Bündnisse aus dem sozialdemokratischen SHB und dem kommunistischen MSB, wo auch kleinbürgerliche Intellektuelle die Orientierung aufs reale Proletariat lernten und lehrten. Und wer da alles bei Herbert Schui das wirtschaftspolitische Einmaleins lernte? Über Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Jan de Vries und Wolfgang Raeschke hinaus. Und Herbert Schui lebte dabei das „Kollegiale“ vor! Auch in Outfit, Umgang und Haltung. Als Gegenentwurf zu jenem Typus, den Brecht verächtlich „die TUIs“ genannt hatte. Die sich und ihr Wissen dem Monopolkapital verpachten und prostituieren. Profitfundamentalisten. Prediger der Sozialkürzungen, des Lohndumping, der Steuer-Flatrate, des Privatisierungswahns und eines Euro-Diktats, einer Währungspolitik ohne Ausgleich. Und für NATO-Kriege. Die alle hat er zeitlebens bekämpft.
Mit der Kohlschen Wende wurden nicht nur brandtsche Reformen erstickt, sondern auch linkskritische Redaktionen. Und viele rosagrünliche Medienintellektuelle liefen über zu Springer, von wo sie die Rente an die Börse und in die Hände von Allianz & Maschmeyer treiben halfen. Herberts Sarkasmus gegen diese Hassprediger des Monopolkapitals bleibt unnachahmlich. Gerade auch, als dann Professoren zu Vorkämpfern gegen Kaufkraft und gegen eine soziale EU wurden. Und deren wirtschaftlicher Scherbenhaufen ist jetzt zügig auszukehren. Ohne Herbert. Aber mit seinen Erkenntnissen! In Erinnerung an seine Bescheidenheit, Herzlichkeit und Klugheit. Und: seine Art, das Leben zu genießen. Herbert Schui hat nie viel Wind um sich gemacht. Aber: da ist jetzt eine Windstille, wo er war und wirkte.
Ein wirklich bemerkenswerter Wissenschaftler, bei dem ich im 43. Lehrgang an der HWP viel gelernt habe.