Von Salim Hemeed

DIE LINKE zeichnet sich seit jeher durch einen bunten Strauß an Debatten aus, die zyklisch zu den Wahlen immer wieder auf den Tisch kommen, aber nie endgültig geklärt werden. Häufig entscheidet man sich schlussendlich um des lieben Friedens willen dafür, kontroverse Debatten mit Formelkompromissen zuzuschütten. Damit lösen wir aber nicht das Problem – wir verschieben es.

Neben der Frage „Wie hältst du’s mit Europa?“, hinter die man bis zur nächsten Europawahl erfolgreich einen Haken gesetzt hat (freilich ohne Debatten oder gar ernsthafte Konsequenzen) gibt es einen weiteren echten Evergreen unter den Endlos-Debatten in der Linkspartei. Regierungsbeteiligung – ja, nein, vielleicht?

Was Außenstehenden kaum begreiflich zu machen ist, wird in der Linken seit jeher kontrovers und emotional diskutiert. Es geht um die Frage, ob eine Partei, die in einer parlamentarischen Demokratie zu Wahlen antritt auch wirklich administrative Macht anstrebt (also zu regieren) und ihre Forderungen mit den Mitteln des Parlamentarismus auch tatsächlich umsetzen möchte.
So wichtig es ist, nicht das aufs Spiel zu setzen, was man hat, nämlich das Erfolgsprojekt DIE LINKE – eine dauerhaft im deutschen Parteiensystem etablierte Kraft links der Sozialdemokratie – so wichtig ist es angesichts der dramatischen Zeiten in denen wir leben Klarheit darüber zu schaffen wo DIE LINKE hin will und vor allem, wie sie gedenkt dorthin zu kommen.

Zunächst gilt es die Prämissen zu klären:
74% der Linken-WählerInnen wünschen sich eine rot-rot-grüne Bundesregierung, das ergab eine jüngst erschienene repräsentative Erhebung des Instituts Forsa[1].

Damit liegen die Zustimmungswerte zu einer solchen Koalition unter WählerInnen der Linkspartei noch einmal ein deutlich über denen von AnhängerInnen von Grünen (53%) und SPD (51%).
Bei Landtagswahlen sprechen die Zahlen eine noch deutlichere Sprache.
So ermittelte Infratest dimap nach der Hessenwahl 2018, dass 99% der Befragten LINKE-WählerInnen der These „Ich fände es gut, wenn DIE LINKE in Hessen an der Regierung beteiligt wäre“ zustimmten.[2]

Konfrontiert mit der nackten empirischen Datenlage erübrigt sich also eine Debatte darüber, ob ein “kämpferischer Oppositionswahlkampf”, der das Übernehmen von Regierungsverantwortung kategorisch ablehnt strategisch sinnvoll, von den WählerInnen gewollt und kurz- bis mittelfristig erfolgsversprechend ist.
Erfreulich ist, dass dies nun auch in der Partei bei den Allermeisten angekommen ist und nur noch die wenigsten “Regierungsgegner” offen mit einer solchen Position aufwarten. Das ist ihr  gutes Recht. Es reicht aber nicht und verkennt die Realitäten dessen, was sich  diejenigen Menschen in diesem Land, die mit einem merkelschem „weiter so“ nicht zufrieden sind, tatsächlich wünschen.


Die Demonstration des eigenen Willens zur Macht- also der Anspruch die eigenen politischen Ideale und Vorstellungen vom geduldigen Papier der Wahlprogramme auf die Realität zu übertragen, ist in einer parlamentarischen Demokratie, in der sich für den Großteil der BürgerInnen das Verständnis von Partizipation (leider) noch immer auf den turnusmäßigen Wahlgang zur Urne beschränkt essentiell.

Es ist aber nicht nur wahlstrategisch sinnvoll, Gestaltungswillen zu signalisieren.
Angesichts der drängenden Probleme unserer Zeit braucht es kaum etwas dringender als eine starke LINKE in allen gesellschaftlichen Bereichen; auf der Straße, in Vereinen, an der Seite von Initiativen und Verbänden aber eben auch im Parlament und im Idealfall an den Schalthebeln der Macht, in der Regierung.
Regierungsoptionen müssen letztendlich immer danach bewertet werden, was mit ihnen konkret umsetzbar ist. Niemals dürfen sie für eine sozialistische Partei Selbstzweck sein.
Ebensowenig darf die Oppositionsbank zum dauerhaften und bequem eingerichteten Rückzugsort werden – aus Angst vor der eigenen Courage. Kategorisches Bejahen oder Ablehnen der Frage nach Regierungsbeteiligung darf es nicht geben.

Aber wir müssen unsere eigenen Ideen und Angebote offensiver unterbreiten, Reaktionen und Bekenntnisse von unseren MitbewerberInnen einfordern und auf Transparenz drängen. Wenn also die SPD ankündigt den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland zum Wahlkampfthema zu machen, dann sollten wir künftig mit breit geschwellter Brust auftreten und sie daran erinnern, welche Partei schon lange für dieses Anliegen einsteht und wer folglich der einzige Partner ist, mit dem dieses Versprechen umgesetzt werden kann.Die liebgewonnene “Wer hat uns verraten…”-Attitüde, durch die jede Anbahnung progressiver Ideen innerhalb der Sozialdemokratie mit Spott begegnet wird, ist schon deshalb unbrauchbar, weil sie den anderen viel zu einfach aus der Verantwortung entlässt, Versprechen tatsächlich umzusetzen.

Wenn die Grünen von einer 180°-Wende in der Klimapolitik und Co²-Neutralität, weit vor dem von der GroKo angepeilten Datum sprechen, dann müssen wir offensiv die gemeinsame Umsetzung fordern und sie in ihrer Liebäugelei mit der Union stellen.
Es braucht eine glaubwürdige progressive Erzählung für einen Politikwechsel, die die Menschen mitnimmt und überzeugt. DIE LINKE muss endlich zur treibenden Kraft für ein solches Bündnis werden, das einen ganz anderen Gesellschaftsentwurf zur Wahl stellt.


Wir müssen all den jungen Menschen, die nichts kennengelernt haben als eine Politik der Austerität und des ideenlosen Verwaltens, aber auch allen anderen mit der jahrelangen Herrschaft der Union Verdrossenen zeigen, dass eine echte Alternative zur Wahl steht. Dies muss unser Ansporn sein. Eine Alternative zu bieten, die den Bruch mit der herrschenden Politik wagt und einsteht für Solidarität, Menschlichkeit, Antirassismus, und eine echte Wende in der Klimapolitik.

Klar ist: DIE LINKE kann nur ein Teil dieser Alternative sein. SPD und Grüne werden uns nicht in die Arme fallen, sie werden uns den so bitter nötigen Politikwechsel nicht schenken und wir werden auch in einer Regierungskoalition gemeinsam mit BündnispartnerInnen hart um die Durchsetzung unserer Programmatik kämpfen müssen. Dass das gelingen kann zeigen die GenossInnen in Berlin, die mit der Durchsetzung des bundesweit ersten Mietendeckels weit über Berlin hinaus eine Debatte über Eingriffe ins Eigentumsrecht in Gang gesetzt haben.
Klar ist auch; ohne DIE LINKE bleibt‘s weiter schwarz. Und das kann keiner von uns wollen.
In diesem Sinne wusste schon Herbert Wehner: „Wenn sie das Leben verändern  wollen, wenn sie es gestalten  wollen, dann reichen Theorien  nicht. Da braucht man Kraft. Und  zwar Kraft nicht mit dem Mund,  sondern mit Mehrheiten. Von  Theorien ändert sich die Welt  nicht, das hat schon jener mit  dem Barte gesagt, der ihn hatte, ehe die anderen ihn jetzt haben, nämlich Karl Marx.“ 

[1] https://www.presseportal.de/pm/72183/4610241
[2] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/wahlanalysen/2018-10-29_Ka_LTW18_HE_WNB.pdf

Eine Idee zu “Opposition muss man können – Regierung muss man wollen!

  1. Christian Suhr sagt:

    Mein Eindruck ist auch ähnlich. Oft einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und umschifft Themen mit Konfliktpotential so wie die Grünen die „Homöopathie“ 😀 Es bleibt bei allgemeinen Floskeln, die möglichst nicht anecken, aber so auch keine Spuren hinterlassen, weder nach innen noch nach außen. Man verzichtet darauf zu polarisieren.

    Debatten wie oben angsprochen sind die EU- oder auch Koalitionsfrage. Gern genommen werden jedoch leider auch Israel, Migration und Historie.

    Wie sehr ein Wischiwaschi-Kurs bis hin zur Wahlurne einer Partei schaden kann, zeigte dabei schon die indifferente Haltung von Jeremy Corbyns Labour Partei. Mr. Corbyn fand die EU doof und hätte lieber ’nen Brexit gewollt, viele jugendliche Wähler*innen begreifen sich jedoch als Europäer und hätten sich ein Remain gegenüber dem konservativen Brexit gewünscht. Aber am Ende war unklar, was man eigentlich wollte, und ist katastrophal abgewatscht worden von den Wähler*innen.

    In diesem Fall geht es auch darum, ob und wie die LINKE Regierungsverantwortung übernehmen kann. Doch da muß man sich vielleicht nur die richtigen Fragen stellen:

    1. Warum sollte man jemanden wählen, die nicht regieren will oder auf über 50% der Stimmen wartet, also faktisch nie regieren würde? Dann schenke ich meine Stimme doch lieber ’nem anderen mit Gestaltungswillen.

    2. Wie sollen SPD und GRÜNE je wieder sozialdemokratisch und ökologisch bewußt handeln, wenn ihnen von Links kein Angebot gemacht wird?

    3. Wir machen das doch nicht für uns, sondern für unsere Mitbürger*innen, selbst wenn diese uns nicht gewählt haben. Wollen wir diese lieber schwarz-gelber Ausbeuterpolitik überlassen?

    4. Funktioniert gute linke Politik nur mit vollen Kassen, die von Neoliberalen in der Legislaturperiode vorher hinterlassen wurden, womit man dann Wahlgeschenke verteilen könnte? Dann können wir ewig warten!

    5. Gesprächsbereitschaft und auch Kompromißbereitschaft zeichnen doch Linke allgemein aus. Auch zwingt uns ja niemand, den Koalitionsvertrag auch zu unterzeichnen. Ganz zu schweigen davon, daß man zu Einzelthemen den Koalitionszwang auch aussetzen könnte, aber aufgrund einer hohen Übereinstimmung in anderen Themen eine sehr effektive Projektregierung hätte. Ein Koalitionsvertrag darf doch nicht den Anspruch haben, jede Diskussion abzulösen und mit seiner Mehrheit kategorisch die Minderheit zu überstimmen.

    6. Nur weil manche mögliche Mandatsträger eventuell mit Regierungsverantwortung überfordert wären, wäre das auch kein Argument. Dann soll man sich nicht aufstellen lassen oder viel mehr auch seine Partei einbeziehen für die nötige Unterstützung!

    Warum kann man nicht stärker das Parlamentarische mit dem Außerparlamentarischen verknüpfen, und wenn es der Blumenstrauß vor die Füße hier und der Protest auf den Straßen da ist. Partei und Bundestagsfraktion nicht nebenher laufen, sondern sich gegenseitig die Bälle zuspielen?!

    In Portugal haben linke Splitterparteien die quasi Sozialdemokratie von der Austeritätspolitik abgebracht und in Menschen und Soziales investieren lassen. Teilhabe ist auch ökonomisch wichtig für die Binnenkonjunktur, dem könnten all die neoliberalen Parteien nichts entgegensetzen mit ihrer Programmatik des weiter so.

    Veränderung kann man sicherlich auch aus der Opposition und außerparlamentarisch erreichen. Doch wenn wir zu einer wirklichen Bewegung werden wollen, müssen wir auch parlamentarisch zeigen, daß wir nicht Mainstream sind, daß es mit uns Impulse gibt, neue Ideen und Mut zur Veränderung. Vertrauensbildung!

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