Pflegende Angehörige beklagen seit Jahren fehlende Entlastungsmöglichkeiten. In der Corona- Pandemie kommen zahlreiche weitere Probleme auf sie zu
Etwa drei von vier Menschen mit Pflegebedarf werden in den eigenen vier Wänden gepflegt und dies zumeist von Angehörigen. Etwa die Hälfte der pflegenden Angehörige bekommt Hilfe von den mehr als 30.000 Beschäftigten in ambulanten Pflegediensten, die es alleine in Niedersachsen gibt. Manche entscheiden sich bewusst, die Pflege ohne professionelle Hilfe zu leisten, aber gerade im ländlichen Raum ist es auch kaum möglich, überhaupt einen häuslichen Pflegedienst mit freien Kapazitäten zu finden. Die ambulante Pflege zu organisieren, wird für Familien immer schwerer.
Pflegedienste haben schon seit Jahren Schwierigkeiten, Pflegekräfte zu finden. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass die Gehälter in der ambulanten Pflege noch geringer ausfallen als die Pflegegehälter in den Krankenhäusern. Dazu kommt die schlechte Zahlungsmoral der Krankenkassen. Zwar dürfen Kranken- und Pflegeversicherungen die Bezahlung von Tariflöhnen nicht als „unwirtschaftlich“ ablehnen. Aber genau das geschieht immer wieder. Vertreter*innen der Caritas Niedersachsen haben im März 2019 erläutert, dass nur etwa 15 Prozent der Betriebe Tariflohn zahlen. Das macht die Arbeit für Pflegekräfte, die in allen Bereichen dringend gesucht werden, nicht attraktiver.
Private Pflege stellt die ganze Familie, aber vor allem die Hauptpflegeperson, vor große Herausforderungen – emotional, psychisch, körperlich und finanziell. Überlastung, Erschöpfung, sozialer Rückzug – pflegende Angehörige riskieren schon im Normalbetrieb ihre Gesundheit. Und während der Corona-Pandemie kamen zusätzliche Probleme auf sie zu: Ende März wurden Tagespflegeeinrichtungen in ganz Niedersachsen geschlossen. Etliche pflegende Angehörige haben deshalb schon jetzt ihren gesamten Jahresurlaub verbraucht, weil sie sich zu Hause kümmern mussten. Bei der Beschaffung von Schutzmaterial hatten und haben es pflegende Angehörige aber auch ambulante Pflegedienste deutlich schwerer als Kliniken. Die sozialen und nachbarschaftlichen Netzwerke, die Familien, die pflegen wichtige Entlastung bringen, konnten wegen der nötigen Kontaktbeschränkungen oftmals nicht genutzt werden.
Denn Pflege ist für den Staat billig zu haben, wenn sie von Angehörigen geleistet wird: Eine Hilfe der familiären Sorgearbeit durch tariflich bezahlte Fachkräfte ist deutlich teurer, daran ändern auch die Ansätze wie Pflegegeld, Rentenansprüche für pflegende Angehörige oder Pflegeunterstützungsgeld nicht, sondern sind vielmehr ein Tropfen auf den heißen Stein. Entlastungsmöglichkeiten wie Verhinderungspflege, sind schwierig umzusetzen, ein Platz schwer zu kriegen. Die Ankündigungen der Bundesregierung zur Entlastung von pflegenden Angehörigen bleiben also im Moment nichts als heiße Luft. In Wolfsburg ist es kaum möglich, einen Platz zur Kurzzeitpflege zu finden. Pflegende Angehörige, die sie in Anspruch nehmen möchten, etwa weil sie endlich mal wieder Urlaub machen wollen oder ein planbarer Krankenhausaufenthalt ansteht, berichten von nötigen Vorlaufzeiten von etwa einem Jahr – wenn man Glück hat und überhaupt einen der raren Plätze ergattert.
Neben den generellen Problemen in der häuslichen Pflege beruht dieses Konzept einzig darauf, dass die Bundesregierung sich auf das Verantwortungsbewusstsein der Familien verlässt. Das schreibt ein rückwärtsgewandtes Familienbild fort, denn die Pflege von Angehörigen ist
Frauensache. Wie bei anderer unbezahlter Sorgearbeit stecken sie also auch hier oft im Erwerbsberuf zurück, mit allen Konsequenzen wie geringeren Aufstiegschancen, Lohn- und Rentenansprüchen etc.. Wenn also die Bundesregierung nicht für Entlastung sorgt und besonders die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf stärkt, bedeutet dies, Pflege nicht als gesellschaftliches, sondern privates Problem zu begreifen.
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Um die Situation pflegender Angehöriger zu verbessern, stellt die Fraktion DIE LINKE immer wieder zahlreiche Anträge im Deutschen Bundestag, zuletzt haben wir einen Antrag zum sogenannten Bevölkerungsschutzgesetz II beigelegt, weil die Bundesregierung bei ihren Corona-Maßnahmen die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Pflegebedarf in der häuslichen Pflege und ihren Angehörigen viel zu wenig beachtet. Um zu verstehen, welche spezifischen Bedürfnisse dies in der häuslichen Pflege sind, müssen wir im Gespräch bleiben. Deshalb widmet sich die Ständige Pflegekonferenz von DIE LINKE Niedersachsen den Fragen pflegender Angehöriger.
Bis auf weiteres finden die Pflegekonferenzen digital statt. Am 16. Mai möchten wir mit vielen Interessierten und Christian Pälmke, Fachreferent beim Verband „wir pflegen“, über die Situation in der häuslichen Pflege sprechen. Welche Unterstützung brauchen pflegende Angehörige? Wie geht es Menschen mit Pflegebedarf, die weitgehend isoliert sind? Welche Debatten über und mit Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen werden gerade öffentlich geführt und welche sind nötig? Diese und weitere Fragen werden Raum finden. Ihr seid herzlich eingeladen, mitzudiskutieren. Die Pflegekonferenz findet online als Zoom-Konferenz statt. Bitte meldet euch an https://www.dielinke-nds.de/pflege/