Eine transformatorische Aufgabe für unsere Landespartei

Wir gehen in das zweite Jahr des niedersächsischen Pflegeauf- stands. Zehntausende Pflege- kräfte zeigten sich nach Erhalt von Rechnungen vor Weihnachten 2018 widerständig gegen eine von ihnen als unterdrückerisch und entmündigend empfundenen, sie sogar ihrer Bürger*innenrechte beraubenden Zwangsverkamme- rung. Dieser Widerstand hat sich durch ein Jahr fantasievoller Dau- erproteste, einer stetig wachsen- den Anzahl an Pflegebündnissen, an einem höheren Selbstorgani- sierungsgrad, wie beispielsweise die Gründung des „Pflegebündnis Niedersachsen“ mit derzeit (> 20 lokalen Pflegebündnissen) zu einer veritablen Größe und Qualität der Selbstermächtigung entwickelt. DIE LINKE. Niedersachsen war von Beginn an – vor allem in der Flä- che – aktiv an der Seite der Pflege- kräfte, hat mit unzähligen eigenen und gemeinsamen Aktivitäten zur Entwicklung eines „pflegerebelli- schen“ Selbstbewusstseins bei- getragen. Mit den ersten „Stän- digen Pflegekonferenzen“ hat die „Landesvorstands AG Pflege“ be- gonnen, einen wichtigen konstan- ten Wissensaufbau gemeinsam mit den aktiven Pflegekräften zu entwickeln, aus dem wir perspek- tivisch eine basisdemokratisch entwickelte Parteipolitik auf kom- munaler und Landesebene erwar- ten. Der konstante Abwehrkampf gegen die Zwangsverkammerung wird auch dieses Jahr wesentlich die aktivierten Pflegekräfte in Nie- dersachsen beschäftigen, aber auch Solidarität mit kämpfenden Belegschaften durchaus über die Landesgrenzen hinaus. Kampfzie- le, wie z.B. die Abschaffung der Fallpauschalen, aber auch massive Lohnerhöhungen, Arbeitszeitver- kürzungen und vieles mehr sind in der Diskussion präsent. Bundes- weit planen Pflegebündnisse ein starkes Signal des Widerstands gegen die Groko-Politik auch die ses Jahr bei der Gesundheitsminis- terkonferenz im Juni auszusenden – Niedersachsen wird dabei sein! Was treibt indes das Kapital im Pflegesektor um? Der Vorstands- vorsitzende des Konzerns Freseni- us (mit 86 Helios-Kliniken) fordert in der FAZ nach ersten Einschrän- kungen im Fallpauschalensystem – englische Abkürzung „DRG“ – die neoliberale Rolle rückwärts, also noch mehr „unternehmeri- sche Freiheit“ im Gesundheitswe- sen. Zum ersten Mal widerspricht öffentlich die stellvertretende Vor- sitzende des Interessenverbands kommunaler Krankenhäuser e.V. (mit 64 Krankenhäusern), Dr. Iris Minde, der These, dass Markt- wirtschaft in den Krankenhausbe- trieb gehört.1 Ganz im Gegenteil macht die Ökonomin das DRG- System und die Kommerzialisie- rung des Gesundheitssystems für den Pflegenotstand verantwort- lich. Die systematische Unter- finanzierung der Krankenhäuser belohnt „Diagnosen“, während die personalintensive Pflege durch Arbeitsverdichtung und „Rationa- lisierungspotenziale“ massiv unter Druck geraten ist. Wie viele pro- gressive Kräfte fordert auch sie einen demokratisch legitimierten Konsens, der uns im Sinne einer „Bringschuld des Sozialstaats“ wieder zu einer geregelten „vor- neoliberalen“ Daseinsvorsorge verhilft. Dieses bedeutet eine neue Gewichtung im Kräfteverhältnis, das wir als LINKE für einen brei- ten gesellschaftlichen Vorstoß mit dem Ziel der Vergesellschaftung des Gesundheits- und Pflegebereichs mit der Finanzierung durch die Solidarische Gesundheits- und somit Pflegevollversicherung nut- zen sollten.

Was bedeutet eine solche mit LIN- KEN Forderungen äußerst kom- patible Aussage von – immerhin ebenfalls im Sog der Vermarktung fehlagierenden – kommunalen Krankenhäuser nun in der Kom- bination mit einem mittlerwei- le organisierten Widerstand der Pflegekräfte? Was fordert diese gänzlich neue Ausgangslage eines seine Klassenlage zunehmend er- kennenden Subjekts im Pflege- kampf für die Ausrichtung unse- rer eigenen Politik und Praxis bis in die Kreisverbände hinein? Die aktivere Teilnahme unserer Partei- basis an den „Ständigen Pflege- konferenzen“ wäre eine wichtige Maßnahme, uns allen eine höhe- re Kompetenz in der Pflegepolitik sowie LINKEN Antworten darauf anzueignen. Ganz sicher aber be- deutet dies, dass wir LINKE uns gemeinsam mit den mobilisierten Pflegekräften in die Ausgestaltung des Widerstands gegen den Pfle- genotstand im Sinne einer neuen Klassenpolitik begeben können und sollten. Es gilt für uns LINKE, das sich herausbildende Klassen- subjekt darin zu stärken, in ge- meinsamen organizing-Prozessen sein gesellschaftsveränderndes Potenzial zu erkennen und voll- ständig entwickeln zu können. Eine stark emanzipatorisch-huma- nistische Kultur bringen die der- zeitigen Akteur*innen des Pflege- aufstands bereits „von Haus aus“ mit ihrer ethischen Auffassung von Sorgearbeit mit. Darin ist ein sehr großes Potenzial von solida- rischem Handeln und Füreinander Einstehen angelegt, von dem wir als LINKE durchaus noch lernen können. Aktuelle Strategiediskus- sionen in und um unsere/r Partei wie die zur Herausbildung einer „verbindenden Klassenpolitik“ und der „Care Revolution“ gilt es, in konkrete Handlungsoptionen vor Ort und in den Regionen herunter- zubrechen. Die Landesvorstands AG Pflege plant bereits program- matisch für kommunal- wie lan- despolitische Handlungsoptionen in der Pflege. Der September bie- tet uns viele Möglichkeiten, soli- darisch die Tarifauseinanderset- zungen zu begleiten – da kommt es auf frühzeitige Kommunikation und Planung mit verdi und Pflege- kräften an. Perspektivisch können wir einen Durchbruch gegen die antihumanistische Ausbeutungs- praxis der Pflegekonzerne aber nur mit einer großen, alle Bereiche der Daseinsvorsorge mobilisieren- den und organisierenden Klassen- politik erringen. Beispielsweise könnte eine Kampagne „Pflege- konzern xy enteigenen“ analog zu „Deutsche Wohnen enteignen!“ ins Spiel kommen – geistert bisher allerdings nur vereinzelt durch die Köpfe. Dies alles zu diskutieren, zu planen und in konkrete Projek- te umzusetzen ist jede/r von uns auch an der Parteibasis eingela- den.

Kathrin Otte

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