Von Diether Dehm
Es war Rosa-Luxemburg, die der neugegründeten KPD riet, an den Wahlen zur Nationalversammlung 1919 teilzunehmen. Sie blieb in der Minderheit. Lange hat sich die KPD nicht von diesem schweren Verweigerungsfehler erholt. Es war Berlinguers enger PCI-Gefährte Dalema, der der erste Ministerpräsident aus einer kommunistischen Herkunft wurde. Von der einst stärksten Partei Italiens, den Kommunisten, ist seit seiner Regierungszeit mit Unterstützung für Jugoslawien-Krieg und die Privatisierungsorgie nichts mehr übrig.
Aber die Groteske wiederholt sich immer wieder: hier die mit der dogmatischen Verweigerung – da die mit der Heilserwartung beim Mitregieren!
Sicher, es ist kaum bestreitbar: die breite Mehrheit der linken Wählerschaft möchte ein Mitregieren damit ihre soziale Lage besser und Frieden sicherer wird. Die breite Mehrheit der FunktionsträgerInnen in der Partei Weiß, dass die meiste Zerstörung linker Parteien exakt in der Regierung erfolgte. Der Gründungskonsens unserer Partei hat mit den roten Haltelinien eine abwägende Position eingenommen. Oskar Lafontaine, dessen Handschrift unser Parteiprogramm prägt, war meist beides: erfolgreich in Regierung, erfolgreich als Oppositionsführer, Befürworter mancher Mitgestaltung und gleichzeitig Kritiker der meisten linken Regierungspraxen.
Es heißt, die Herausforderung für linke Parteien an ihre Talentierten, an ihre moralischen und intellektuellen Potenziale sei in einer Regierung um ein Vielfaches höher, als in der Opposition. Sicher: wer auf ein Linsengericht schielend (Minister- oder Staatssekretärs-Posten) NATO oder Börse bedient, ist keine echte Hilfe für seine Partei, eher ihr Feind – von innen!
Es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: die Medien machen sich einen Schabernack daraus, den Widerspruch zwischen unseren parteiinternen Skeptikern gegen Regierungsbeteiligungen und die (teilweise auch naive) Befürwortung in der Wählerschaft gegeneinander so auszuspielen. Sie fragen uns, ob wir regieren wollen. Aber nicht, um eine kluge Antwort zu hören, sondern damit wir dabei Prozente verlieren. Hätte ich als Landesvorsitzender der Linken in Niedersachsen vor 13 Jahren auf die permanente Frage der prall gefüllten Pressekonferenzen geantwortet: „Wir wollen keinesfalls regieren! – wir hätten keine 7,1% geholt. Hätte ich gesagt: wir wollen gern regieren: wir hätten im Wahlkampf ein Drittel der Wahlkämpfenden verloren.
Gemeinsam mit Manfred Sohn, Tina Flauger und Giesela Brandes-Steggewentz und im Bund mit Oskar und Gregor haben wir dann einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden: den „Großen außerparlamentarischen Ratschlag“! Auf jede der bohrenden Fragen von Medienvertretern, die uns vorführen wollten, antworteten wir, dass wir sämtliche außerparlamentarischen Initiativen, die Künstler, die uns im Wahlkampf voll unterstützt hatten, den DGB mit Hartmut Tölle, genauso wie Greenpeace, die Friedensbewegung und auch radikale linke Initiativen nach der Wahl zur Auswertung des Wahlergebnisses einladen und dann entsprechende Entscheidungen gemeinsam treffen würden. Manche Meinungsmacher zogen damals lange Gesichter. Aber auch heute und in Zukunft heißt es, mit diesem Widerspruch dialektisch-prozessual, also undogmatisch und umsichtig umzugehen. Und mit viel Verständnis für die Anders-Denkenden in der Partei und mit den Wählerpotenzialen.
Ich sehe es etwas differenzierter, schon mit der Frage:
Was ist links? Sind all diejenigen, die sich Sozialisten, Kommunisten etc. nennen, wirkliche Linke gewesen? Und scheiterte es an linker Programmatik oder an Personen?
Wenn vermeintliche Linke sich in „Privatisierungsorgie“ und Co. verheddern, mag es eine der roten Linien sein, die man nicht überschreiten hätte sollen! Erinnert an den Wohnungsverkauf in Berlin seinerzeit. Oder wenn Grüne Frackinggas und Autobahnen durchwinken und die Sozialdemokratie mit Agenda 2010 und Hartz IV um die Ecke kommt … abgewatscht werden alle, hat nicht mit dem Mitregieren zu tun … nur wer mitregiert, muß auch Verantwortung tragen! Und ich fände es schade, wenn die LINKE sich diese Verantwortung nicht zutrauen würde.
Umgekehrt die Frage: Wie läuft es ganz konkret für die LINKE in Thüringen?
Damit wäre die Prämisse falsch, denn nicht das Mitregieren per se ist das Problem, sondern die Frage des „wie“.
Es wäre leicht, aus der Opposition oder außerparlamentarisch immer zu sagen, was man besser machen hätte sollen. Nur wird man so den Beweis auch immer schuldig bleiben. Rumpöbeln vom Seitenrand, und das selten konstruktiv, geschweige denn mit einer Stimme 🙁
Und da wir auch im selben Boot sitzen mit all denen, die zur Zeit auch über uns regieren, hätte ich gern mehr Dunkelrot als Schwarz-Gelb-Braun auf Regierungsbänken.
Ich halte überdies die Fokussierung auf einzelne Führungsfiguren wie Oskar Lafontaine oder auch Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht für falsch. Womöglich ist der linke Weg zum Erfolg der Wahlurne grundlegend ein anderer als der der neoliberalen-konservativen Parteien, die inhaltlich Mist bauen und deswegen nur über PR und Charisma der Personen punkten können. Wenn wir endlich mit einer Stimme konstruktiv, humanistisch und progressiv auftreten, dann wäre die LINKE die ethisch-moralische Benchmark, an der andere sich messen müßten. Eine LINKE, die sich von ihren einzelnen MItgliedern emanzipiert hätte
Aktuell zerfetzt uns die neoliberale Presse, weil einer von uns ’nem Möchtegern-Linksautoritären in Südamerika die Hand schüttelt, auf Corona-Demos mitlatscht, Rußland-Fan ist (weil da ja mal irgendwas mit Marx war), Steine wirft und Vandalismus begeht, gegen Migration (also Mitmenschen) wettert, von überteuerten Flüchtlingskindern schwadroniert mit Thilo Sarrazin in der Gesprächsrunde, mit Identitärenflagge wedelt oder mit der AfD im Parteibüro sitzt und eventuell noch „Knete aus dem System abgreifen“ und „Reiche erschießen“ will. Die Partei scheitert in diesen Fragen nicht an den Inhalten.
Womöglich wiegt bei keiner anderen Partei das menschliche Versagen größer als bei der LINKEN; eine Partei, die solidarisch-sozialistisch sein will, aber in der es regelmäßig um Machtkämpfe und persönliche Befindlichkeiten geht. Insofern sehe ich da die Notwendigkeit, die LINKE selbst zu charakterisieren, zu einer Person zu machen, die nicht ihr Fähnchen in den Wind hängt sondern einen Garanten, einen sicheren Hafen darstellt. Wir müssen uns von uns selbst emanzipieren. Dann braucht man auch nicht jedes Mal schauen, was man für ein Wahlprogramm haben will abhängig von Tagespresse und Personen.
Und nein, auch ein Linker Verteidigungsminister ist nicht automatisch Feind der Linken. Genauso wenig wie Staatssekretäre oder ähnliche mehr. Das würde doch bedeuten, wir könnten faktisch gar nichts entscheiden und regieren, weil irgendwer immer eine Entscheidung treffen muß. Für mich heißt es, man traut seinen eigenen politischen Vertretern nicht, und ich denke, da muß man ansetzen … damit nicht nur Opportunisten und Apparatschiks „hier“ schreien, wenn es um Mandate geht …
Wir hätten ein Drittel der Wahlkämpfenden verloren, wenn wir gesagt hätten, wir wollten regieren? Nun, ich weiß, daß man mich verliert, wenn man nicht regieren will, dann gehe ich lieber zu Volt oder Die Partei … diese These kann man auch umdrehen 😉
Die Rücksicht vor Andersdenkenden ist wichtig, so ähnlich äußerte es auch Rosa Luxemburg, die schon von deren Freiheit sprach. Doch wer sind diejenigen, die anders denken, warum sind die einen wichtiger als die anderen in einer vielfältigen Partei wie die LINKE? Auch wieder eine Aussage, die man in beide Richtungen drehen kann.
Für meinen Geschmack: Ich wähle niemanden, der nicht wirklich was verändern will und vielleicht nur auf den großen Bürgerkrieg hofft oder einen auf leninistischer Revoluzzer machen möchte an demokratischen Entscheidungen vorbei. Sozialismus funktioniert nur, wenn er demokratisch legitimiert ist. Dann muß man Demokratie jedoch auch wollen und mitgestalten. Sagt ja keiner, daß es einfach wäre. Aber fangen wir doch damit an, unseren Freund*innen zu helfen, die in solch einer verantwortungsvollen Position sitzen, statt immer mit dem Finger draufzuzeigen, wenn diese Fehler machen!
Es gab noch nie demokratisch legitimierten Sozialismus. Wir wären die Ersten. Wäre mal schön, wenn wir uns in Fragen von Partei- und Parlamentsarbeit nicht automatisch der Deutungshoheit der anderen mit deren Personenkulten usw. unterordnen würden. Vielfalt muß man leben!
Wobei … manch einer soll die Meinung vertreten, mit zwei Legislaturperioden im Bundestag wäre dessen Altersvorsorge sicher und am Tarifvertrag der Fraktion machen auch nicht alle Abgeordneten mit, weil manche sich da lieber etwas … frei halten wollen in der Wahl ihres Personals … persönliche Befindlichkeiten in verantwortlichen Positionen … das kann nicht gut gehen für eine Linke. Da hätte man gleich einen Kapitalisten zum Parteivorstand machen können 🙁