In den 1920ger Jahren entstanden durch die Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot Zeltstädte, Hüttendörfer. Hausboot- und Bauwagensiedlungen als Selbsthilfeprojekte von vorwiegend jüngeren Niedrigverdienern, Arbeitslosen, Alleinerziehenden, Migranten, Sinti und Roma. Siedlungsaufbau und gärtnerische Selbstversorgung, die selbst vom Hamburger Senat als „überlebenswichtig“ angesehen wurden, waren harte Arbeit. In Hamburg-Lurup war es das „Fischkistendorf“, in dem auch die KPD im Rahmen ihrer genossenschaftlichen Arbeiterselbsthilfe-Projekte und der ‚Roten Hilfe‘ politisch tief verwurzelt war. Selbst nach „Säuberungsaktionen“ der Faschisten und im Bombenkrieg fand dort noch Mancher Obdach oder Zuflucht vor Verfolgung.

Anke Schulz, Autorin des Buches ‚Fischkistendorf Lurup 1920-1950′ (VSA-Verl Hamburg 2002) berichtet: „Mit dem beginnenden Wirtschaftswachstum und dem Wiederaufbau kam es erneut zu einem Wertewandel, und es begann ein Prozess, den ich als zunehmende Stigmatisierung der Arbeitersiedlungen in Lurup und Osdorf empfinde. Tageszeitungen wie „Die Welt“ begannen über Zustände in Luruper Siedlungen zu berichten, in denen gegen Regeln der Hygiene und der Baubehörde verstoßen werde.“ (Ein Anschluss an die Kanalisation wurde aber tunlichst unterlassen.) „Schließlich kam es zu weitreichenden Abrissen von Behelfsheimen und Buden, auch der Protest von Teilen der Bevölkerung konnte das nicht aufhalten. Statt der selbst erbauten Hütten wurden nun Mietshäuser gebaut, die an die Kanalisation angeschlossen sind und den Regeln von Baubehörde und Gesundheitsamt standhalten.“ Und schließlich baute dort die SPD das bekannte Hochhaus-Ghetto ‚Osdorfer Born‘.

Weitaus bekannter ist die Zeltstadt „Kuhle Wampe“ (1920-1935) im Berliner Müggelheim durch Slatan Dudows gleichnamigen Spielfilm (1932), unter maßgeblicher Mitwirkung Bertolt Brechts und Kurt Weils. Er spielt im Berlin der frühen 1930er-Jahre: Ein arbeitsloser junger Mann stürzt sich aus Verzweiflung aus dem Fenster, nachdem er den Tag wieder vergeblich nach Arbeit gesucht hat. Seiner Familie wird darauf die Wohnung gekündigt. Sie zieht auf den Zeltplatz „Kuhle Wampe“. Marcel Pliepke berichtet: „Düstere Mietskasernen in Berlin. Lange her. 1931? 315.000 Arbeitslose in der Reichshauptstadt. Weltwirtschaft in der Krise. Krise Kapitalismus. Brotlos hungern, arbeitslos hungrig. Alte Menschen, junge Menschen. Und dann ein Ausweg, eine neue Gemeinschaft im Wohnen und im Leben: Wasser, Licht, Luft. Solidarität.“ Es waren 1920 ca.  zwanzig Zeltstellplätze. In wenigen Jahren dehnte sich die Kolonie aus, umfasste schon bald mehr als einhundert Zelte, in denen über dreihundert Personen – Arbeiter, Arbeitslose aus allen Gesellschaftsschichten, Familien billig Unterkunft fanden und bald organisiert im Verein Naturfreunde oder dem Arbeiterturnverein Friedrichshagen ihren Hunger nach Licht, Luft und Sonne stillen konnten. 1925 entstanden hinter Kuhle Wampe, Richtung Müggelhort, zwei weitere Zeltstädte. Die trugen die Namen Kleen Kleckersdorf und Tsinmulpo. 1933 begannen faschistische Schikanen und Verhaftungen, 1935 wurden die Wohnprojekte geräumt und aufgelöst.

Erst mit der, als „68er-Bewegung“ bekannten, Außerparlamentarischen Opposition in Westdeutschland, kam es dort zu einer Renaissance alternativer Wohngemeinschaften (WGs). Man mietete gemeinsam bewirtschaftete Wohnetagen, bald auch geeignete Gebäude, um zu hohen Mietkosten und der Vereinzelung auf dem Wohnungsmarkt zu entgehen, das Zusammenleben freier gestalten zu können. Auch politisierte Gruppen hatten sich für alternative Wohnprojekte zusammengeschlossen. So tagte z.B. der Lüneburger SDS auf dem Hausboot seines damaligen Vorsitzenden, Hermann Ritter. Dabei stießen viele WGs bald an die Grenzen der realen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt. Die Springer-Presse hetzte pauschalisierend gegen alle, indem sie „Sexkommunen“ und „Unruhestifter“ skandalisierte, die es ja auch vereinzelt gab. Gegen Mieterhöhungen, Abrissvorhaben und Kündigungen wehrten sich nun Betroffene mit Mietstreiks (sogar in Studenten- und Lehrlings-Wohnheimen) und den ersten Hausbesetzungen. Einige davon waren, Dank einer breiten Solidaritätsbewegung nach jahrelangen Kämpfen erfolgreich, wie etwa in Hamburg 1995 die Hafenstraße, 1980 das Schröderstift und 2019 die Künstlergenossenschaft Valentinskamp. Die meisten besetzten Häuser werden jedoch, wie in Berlin, erbarmungslos geräumt. Und auch deshalb entstand in diesen 70ger-Jahren die Bauwagen-Bewegung.

Nach dem Zerfall der Studentenbewegung hatten sich verschiedene Strategien linker Strömungen herausgebildet. Eine davon, aus der auch die, ursprünglich noch pazifistischen und antikapitalistischen „Grünen“ hervorgegangen sind, suchte freie, selbstbestimmte Wohnräume, soweit möglich den Verwertungszwängen des Marktes entzogen. Gesellschaftliche Außenwirkung durch wegweisenden Vorbildcharakter und politische Aktivitäten von Links bis Bürgerlich gehörten dazu: Landkommunen, Künstler-WGs, Alternative Siedlungsprojekte und Betriebe entstanden. Auch die Bauwagengruppen sind zwar recht unterschiedlich, aber bundesweit solidarisch vernetzt und meist scharf antikapitalistisch. Sie befördern ökologischen Anbau, sind oft vegan, unterstützen hochaktiv Hausbesetzer, Klimabewegung, Atomkraftgegner, Friedensbewegung, und Flüchtlingshilfe und Antifaschisten, z.B. mit effektiven Kletteraktionen bundesweit. Das SEK-Niedersachsen war sogar genötigt, ein “Höheninterventionsteam“ gegen sie aufzustellen. Seit es Bauwagensiedlungen gibt., mühen sich die Kommunalverwaltungen, diese zu verdrängen, zu schikanieren und diffamieren, gewähren ihnen keine Chancengleichheit in der Raumplanung, allenfalls in Form reglementierter Nischen als Alibi-Objekte zum Vorzeigen.Hingegen wird die kommerzielle Bauwagenvermarktung für „Romantik-Touristen“ vielerorts sehr geschätzt und gefördert.

Während PDS und Die Linke in Berlin sich leider lange Zeit den Forderungen der Mieterinitiativen verweigert haben, und „Seit an Seit“ mit der SPD auch heute noch Räumungskationen durchführen, klappt die Zusammenarbeit mit der wohnungspolitischen Opposition woanders besser. Viele Parteimitglieder leben selbst in WGs, einige, wie der Lüneburger Ratsherr Christoph Podstawa, sogar in Bauwagen. Mit der Parole „Wir holen uns unsere Stadt zurück“ der hemmungslosen Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes (z.B. durch Privatisierungen des Wohnungsmarktes, von Freizeit-Möglichkeiten, Erholungsräumen, Verkehr…) ein Ende zu setzen, ist ihr Ziel. „Wem gehört die Stadt?“– das ist die Eigentumsfrage! – Denn; sie haben erlebt, dass alle absurden „Reformvorschläge“ auf dem Wohnungsmarkt fehlschlagen, profitgierige Immobilienspekulation und Wuchermieten gerade in der gegenwärtigen Krisensituation erbarmungslos weitere Menschen ins Elend stürzen.„Wem gehört denn die Welt?“ Höhepunkt des Filmes „Kuhle Wampe“ ist eine Fahrt mit der S-Bahn (die Szene schrieb Bertolt Brecht). Da streiten sich Anni, Fritz und einige Arbeiter mit bürgerlichen und wohlhabenden Männern und Frauen über die Situation der Weltwirtschaftskrise: Einer der Arbeiter bemerkt, dass die Wohlhabenden die Welt sowieso nicht verändern werden, worauf einer der Wohlhabenden fragend erwidert, wer denn stattdessen die Welt verändern könne. Gerda antwortet: „Die, denen sie nicht gefällt.“

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